Hotel ABACUS | Kommentar zum 170. Geburtstag Hauptmann von Köpenick
Karneval oder doch kulturelles Erbe?
Soldatische Traditionen sind all überall immer noch höchst präsent und das gar nicht so sehr auf heutigen Kasernenhöfen. Sie zeigen sich vielmehr in nachgebildeten Schlachten aus der napoleonischen Zeit ebenso wie in Form zahlloser Ritterspiele wie etwa zu Ostern in Spandau. Auch der Karneval ist nicht frei davon und lässt seine Garden gern in historisierenden Uniformen durch die Straßen seiner Hochburgen marschieren. Da fühlt sich mancher Elferrat wie ein Generalstab vor dem großen Kampf auch wenn nur mit Karamellbonbons geschossen wird.
Der Alte Fritz und der Hauptmann
Außerhalb der Höhepunkte des großen Feierns sind besagte Traditionen auch sichtbar in Gestalt historischer Persönlichkeiten, die zu Stein erstarrt oder aus Metall gegossen auf öffentlichen Plätzen herumstehen wie der Alte Fritz vorm Schloss Sanssouci oder der Hauptmann von Köpenick vorm dortigen Rathaus ...
Doch halt – diese Beiden repräsentieren keineswegs das Gleiche, sondern sind in Bezug auf das Soldatische eher Gegensätze wenn nicht gar Gegenspieler. Während der Eine das Werk des Soldatenkönigs zunächst widerwillig, dann aber mit voller Konsequenz fortsetzte, was im Ergebnis zur Militärkaste des Kaiserreichs führte, nutzte der Andere die entsprechende Gehorsamsmasche unverfroren und höchst zielstrebig für die eigenen Zwecke aus. Dieser hergelaufene Schuster aus Tilsit (verkleidet mit einer nicht mal korrekten Uniform) war bestimmt kein Rebell und schon gar nicht ein Revolutionär – nur ein olles Schlitzohr, das vielleicht ungewollt aber höchst anschaulich die Schwächen einer reinen Kommandostruktur offenlegte. Über diesen Coup des Wilhelm Vogt lachte damals nicht nur die halbe Welt, sondern fast die ganze und die Berliner Zeitungen, in ihrer Mehrzahl nicht gerade militärfreundlich eingestellt, zeigten in dicken Lettern und ironischen Artikeln ihre unverhohlene Freude an dieser knackigen Story.
Historische Person und kulturelle Persönlichkeit
Nein, dieser geniale Hochstapler im Hauptmannskostüm blieb nicht nur eine Erscheinung seiner Zeit, sondern überdauerte diese bis in unser Tage und es ist durchaus damit zu rechnen, dass ihn auch die Zukunft noch kennen wird. Auf alle Fälle ist er bis heute allgemein bekannter als die meisten Militärstrategen, deren dicke Fachbücher nur von anderen Strategen gelesen werden – angeblich. Der Schuster Wilhelm Vogt aber wurde als Hauptmann von Köpenick kurz nach seinem Paradestück sofort zum Popstar, zur literarischen Person und zur zentralen Figur von Theaterstücken und Filmen.
Im Zuge dessen entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte aus der historischen Person eine kulturelle Persönlichkeit, die als solche auch immer wieder Züge der jeweiligen Zeit verinnerlichte. Damit entfernt sie sich jedes Mal ein Stück weit von den konkreten Ereignissen des Jahres 1906 und der Skulptur vor dem Köpenicker Rathaus, aber auch von allen Ritterspektakeln, die sich lediglich bemühen, historische Schlachten nachzuspielen. Doch genau deswegen wird der Hauptmann von Köpenick als kulturelle Persönlichkeit unsterblich und zum allgemeinen Kulturerbe außerhalb aller Karnevalsumzüge - auch wenn aus der ganz großen Anerkennung wegen möglicherweise fehlerhaft ausgefüllter Anträge nichts geworden ist.
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