Private Botschaften auf Werbewänden
Kunstprojekt „Du bist am Zug“ bringt Bürgerbilder groß raus

Thomas Bulgrin ist mit diesem Foto von der Oranienburger Sraße dabei. Wo in der Stadt wird das Stimmungsbild hängen? | Foto:  dubistamzug
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  • Thomas Bulgrin ist mit diesem Foto von der Oranienburger Sraße dabei. Wo in der Stadt wird das Stimmungsbild hängen?
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Bis Ende August werden auf 1500 City-Light-Plakaten der Werbefirma Wall Bilder, Sprüche oder Gedanken von Berlinern gezeigt. Die Initiatoren der einmaligen Mitmachaktion „Du bist am Zug“ wollen so die Stimmen der Menschen in der Stadt sichtbar machen.

Eine Tram auf der Oranienburger Straße in der Abendsonne, ein knutschendes Paar im U-Bahnhof, ein weißes Blatt mit dem Satz „Legen Sie Gurken ein“, zwei Berliner mit Bierflasche, Zeichnungen und jede Menge Friedensmotive und Botschaften zu Klimawandel und Tierschutz – in den kommenden Wochen wird die Stadt zu einer Art Bürgergalerie. 666 Leute haben ihre Fotos, Gedanken, Gedichte, Witze, Sprüche, Zeichnungen und Bilder auf der Website dubistamzug.net hochgeladen und sind nun Teil eines sozialen Forschungsprojektes. Vom banalen Gaga-Gedicht über Müllfotos im Wald bis zu ernsthaften Mahnungen zu seltenen Krankheiten oder Longcovid-Ängsten ist alles dabei. Vorgaben gab es keine; die Beiträge mussten sich nur im gesetzlichen Rahmen bewegen und sollten keine Werbung sein.

Katya Assaf, die gemeinsam mit dem Fotografen Tim Schnetgöke Bürgerpartizipation im öffentlichen Raum erforschen will, ist begeistert von der Vielfalt der eingereichten Beiträge. „Das ist schöner als die meiste moderne Kunst. Und jeder kann es sehen“, sagt die Juristin, die mit dem Projekt an der Hebrew University in Jerusalem forscht. „Wir sind gespannt auf die Reaktionen und was so alles drumherum passiert“, so Katya Assaf.

Hoffentlich nichts Schlimmes, hofft der Stadtplakatierer Wall, der seit Ende Juli die Motive an 1500 Standorten in der ganzen Stadt aufhängt. Die Wall GmbH stellt ihre Werbevitrinen für das einzigartige Projekt kostenfrei zur Verfügung. Die City-Light-Plakate (1,75 mal 1,20 Meter) kleben in U-Bahnhöfen und auf Litfaßsäulen. Wo genau, wird nicht gesagt. Die Plakatsuche ist Teil des Mitmachprojektes. Jeder ist aufgerufen, Fotos von den Plakaten mit dem Standort in den sozialen Medien unter dem Hashtag #dubistamzug zu teilen, damit auch die Teilnehmer ihr Plakat finden können.

Angst vor Vandalismus

Die Firma Wall hat streng darauf geachtet, was sie sich als Sponsor in die Vitrinen hängt. Einige wenige Motive zum Ukraine-Konflikt waren den Stadtwerbern zu krass und wurden aussortiert. „Es gab Befürchtungen, dass das zu Vandalismus führt“, sagt Assaf. Es gab auch eine Gruppe, die etliche Motive zu ME/CFS eingereicht hat und so auf die neuroimmunologische Erkrankung aufmerksam machen wollte. Weil das wie eine Kampagne wirkte, hat Wall nicht alle zugelassen. Aber ein paar Motive werden aufgehängt.

Assafs Team hatte schon vor dem Drucken aussortiert, was gegen Recht verstößt. Ein Bild von einer ukrainischen Künstlerin zum Beispiel, auf dem eine blutverschmierte Puppe auf Russisch pauschal alle Russen beleidigt. „Das ist Verleumdung und Hetze“, sagt die Juristin. „Wir haben versucht, viel zu erlauben und bei strittigen Sachen die Leute gebeten, das zu ändern“, so Assaf. Sechs Mal haben es so veränderte Motive doch noch in die Straßengalerie geschafft.

Ein Grund, warum Wall den Initiatoren die genauen Standorte nicht nennen kann, liegt auch an den gebuchten Werbewänden. Im Gegensatz zu regulär buchenden Kunden werden die Werbestandorte nicht zugeteilt. Die Mitarbeiter bestücken die City-Light Plakate spontan und hängen die Bilder dort auf, wo gerade eine Fläche frei und nicht an zahlende Werbekunden verkauft ist.

Spätere Ausstellung geplant

Das Team von „Du bist am Zug“ hofft wie alle „Künstler“, dass die Aktion in der ganzen Stadt sichtbar sein wird und nicht nur an bestimmten Orten. „Jedes Plakat soll mindestens eine Woche lang hängen, wenn möglich drei“, sagt Katya Assaf. Schade findet sie, dass die knapp zwei Meter großen Plakate von Wall danach vernichtet werden. „Wir hätten sie gern den Leuten gegeben“, so Assaf. Sie jedenfalls will so viele Plakatstandorte wie möglich finden, fotografieren und die Reaktion der Leute für ihre Forschungsarbeit beobachten. Über ihre Ergebnisse berichtet Assaf fortlaufend auf der Website dubistamzug.net.

Einen Bonbon für alle Teilnehmer der Schnitzeljagdaussstellung hat Katya Assaf noch: Sie möchte alle 666 Motive später etwas kleiner drucken und in einer Ausstellung präsentieren. Diese Bilder bekommen die Berliner dann im Anschluss auf jeden Fall. Katya Assaf plant schon die zweite Stadtausstellung. „Wir alle sind Künstler und können unsere Stadt mitgestalten“, sagt sie.

Gefundene Bilder mit dem Hashtag #dubistamzug posten. Alle Motive sind auch in der Galerie auf der Website dubistamzug.net zu sehen. Facebook/Instagram: @dubistamzugberlin, Twitter: @dubistamzug , #dubistamzug

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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