Literaturdetektiv Michael Bienert führt in seinem neuen Buch durch Mitte
Wo verstecken sich Emil und die Detektive? Wo besucht Pünktchen ihren Freund Anton? Und wo geht Fabian mit einer Angestellten aus dem Wedding ins Bett? "Wer sich als Literaturdetektiv durch Kästners Berlin bewegt, muss mit allem rechnen. Was geflunkert klingt, könnte sich tatsächlich so zugetragen haben. Was ganz sachlich, realistisch erzählt wird, ist vielleicht doch nur Erfindung. An manchen Orten ist Kästners Berlin sofort wiederzuerkennen, anderswo wie ausradiert", schreibt Michael Bienert in der Einleitung zu "Kästners Berlin".
Der Hauptaugenmerk des Buches liegt auf den Welten in den berühmten Berlin-Romanen "Emil und die Detektive", "Pünktchen und Anton" sowie "Fabian". Dort forscht Bienert nach den Schauplätzen, die Erich Kästner zu Handlungsorten bestimmt hat, lotet Fiktion und Wirklichkeit aus. Die Hauptschauplätze der Romane befinden sich in Berlins Mitte. In "Emil und die Detektive" etwa das backsteinrote Polizeipräsidium am Alex, damals eine architektonische Superlative, heute verschwunden - an seiner Stelle steht heute das Einkaufszentrum "Alexa".
In "Pünktchen und Anton" ist es die Weidendammer Brücke. "Berlin ist schön, hier besonders, an dieser Brücke, und abends am meisten! Die Autos drängen die Friedrichstraße hinauf. Die Lampen und die Scheinwerfer blitzen, und auf den Fußsteigen schieben sich die Menschen vorwärts. Die Züge pfeifen, die Autobusse rattern, die Autos hupen, die Menschen reden und lachen. Kinder, das ist ein Leben!", heißt es in dem 1931 erschienenen Kinderroman. Kästner lässt seine kleinen Protagonisten auf der Brücke Streichhölzer und Schnürsenkel verkaufen.
Oder der Großstadtroman "Fabian": Da geht es in den Wedding, wo nicht nur Armut, Elend, Kriminalität und Prostitution herrschen. Und unter die Linden, ins Hauptgebäude der heutigen Humboldt-Universität. Die kannte Kästner gut. Er hatte dort im Wintersemester 1921/1922 in Berlin studiert.
Michael Bienert führt seine Leser auch an Orte, die nicht oder nur am Rande in den Romanen auftauchen, aber wichtig für Kästner waren. So an den Potsdamer Platz, den erst die Verfilmung von "Emil und die Detektive" als "zentrales Berlin-Symbol in Szene setzt". Auf Wunsch des Theaterunternehmers Ernst Josef Aufricht bearbeitete Erich Kästner seinen Roman für die Bühne. Am 20. November 1930 haben Emil und seine Freunde ihren Auftritt im Theater am Schiffbauerdamm. Theo Lingen spielte den Dieb Grundeis.
So spinnt Autor Michael Bienert viele Fäden zwischen der Literatur und der Stadt, zwischen dem Autor, seinen Romanen und ihrer Wirkungsgeschichte. Die rund 180 Fotos, Postkarten und Pläne im Buch führen den Leser mitten hinein ins wilde Berlin, dessen Kultur- und Sozialgeschichte der 20er- und 30er-Jahre Michael Bienert ebenso akribisch nachzeichnet. Eine fesselnde Lektüre für Literaturfreunde und ganz im Sinne Erich Kästners, den Bienert mit den Worten zitiert: "Ein Autor, der von Geschriebenem Wirkung erhofft, kann sich nichts Schöneres wünschen, als dass die Leser Literatur mit Wirklichkeit identifizieren und verwechseln."
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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