100 Jahre Groß-Berlin
Schwof und Sünden - in Mitte steppt der Bär schon immer

Eine Ansichtskarte vom "Faun", einem der zahlreichen Tanzcafés an der Friedrichstraße.  | Foto:  Stiftung Stadtmuseum Berlin
  • Eine Ansichtskarte vom "Faun", einem der zahlreichen Tanzcafés an der Friedrichstraße.
  • Foto: Stiftung Stadtmuseum Berlin
  • hochgeladen von Simone Gogol-Grützner

Die düsteren stinkenden Hinterhöfe mit Dreck und Armut, die der Miljöh-Maler „Pinselheinrich“ Zille so einzigartig dokumentierte, und die wilden Parties und Saufgelage in den Lokalen und Hinterhof-Ballhäusern – im Herzen Berlins gab es diesen Kontrast am meisten.

Nicht erst in den 1920er-Jahren war Mitte eine sündige Meile. Lokale und Vergnügungstempel wie Clärchens Ballhaus gab es auch schon im wilhelminischen Berlin vor dem Ersten Weltkrieg. Nach der Revolution und der Metropolenexplosion zu Groß-Berlin in der Weimarer Republik ging es mit dem „Amüsemeng“ in den Turbogang. Rund ein Drittel der Bevölkerung war jünger als 20 Jahre.

Tom Tykwers Serienkracher „Babylon Berlin“ hat die wilden Zeiten mit Sex&Crime zurückgeholt. Im Film wird das Delphi-Kino in Weißensee zum sündigen Nachtclub Moka Efti. Das Moka Efti gab es wirklich – und zwar in Mitte. Das 1929 eröffnete Etablissement war kein Bordell und kein Schwofpalast, sondern ein Nobelcafé mit Rolltreppen – eine Attraktion damals. Das Kaffeehaus an der Friedrichstraße Ecke Leipziger Straße in einem mondänen Gründerzeitbau wurde in den 1930er-Jahren mit Swingorchester und Livemusik immer mehr zum Tanzlokal – nur ohne Oben-Ohne-Tänzerinnen wie in der Serie.

Vom Schauspielhaus zum Showpalast

Die Friedrichstraße war schon lange Vergnügungsmeile. Vor 100 Jahren wurde dort am Schiffbauerdamm in der einstigen Markthalle Max Reinhardts Großes Schauspielhaus eröffnet, der Vorgänger des Friedrichstadt-Palastes. In der NS-Zeit wurde das Haus als „Theater des Volkes“ zum größten Theater des Reiches. Nach dem Krieg erhielt es 1947 den heutigen Namen Friedrichstadt-Palast. Der alte Palast wurde 1980 abgerissen und 1984 ein paar Meter weiter an der Friedrichstraße 107 als letzter großer Prachtbau der DDR neu eröffnet. Die landeseigene Bühne ist heute ein international erfolgreicher Showpalast.

Auch der Admiralspalast am Bahnhof Friedrichstraße ist seit mehr als 100 Jahren Vergnügungstempel und erlebte in den 20er-Jahren seine rauschhaftesten Zeiten. Neben einer Eisarena, einer Schwimmhalle und zahlreichen Bädern beherbergte das 1911 eröffnete Haus Kegelbahnen, ein Café und ein Lichtspieltheater.

Das Wintergarten Varieté an der Potsdamer Straße lag damals auch an der Friedrichstraße. Claire Waldoff, Otto Reutter und Josephine Baker prägten das Gesicht des Hauses in jenen Jahren. Nach einem Bombenangriff 1944 war es damit vorbei. Die Ruine des Wintergartens wurde 1950 gesprengt. Am neuen Standort aber schwelgt das Varité nach eigenen Aussagen noch immer "im glamourösen Flair der Goldenen 20er Jahre".

Die Goldenen 20er heute erleben

In die Zeit der Goldenen Zwanziger kann kann man heute auch in den legendären Tanzlokalen an der Chausseestraße 102 und an der Auguststraße 24/25 eintauchen. Das Berliner Ballhaus und Clärchens Ballhaus in den Hinterhäusern versprühen den Charme der wilden Zeiten vor 100 Jahren und sind Hotspots für Tanzwütige wie Anno Dunnemals. Die Betreiber des modernisierten Ballhauses Berlin an der Chausseestraße mit Emporen, Spiegel und Kronleuchter beschreiben ihr Haus als „Home of the Twenties in der City des Nordens“ und laden regelmäßig zu Hommagen der „Boheme Sauvage“. Auch der neue Besitzer, der in diesem Sommer den legendären Tanztempel Clärchens Ballhaus gekauft hat, will das Haus ab Sommer 2020 behutsam sanieren und als Clärchens Ballhaus weiterführen. Der Investor Yoram Roth sucht neue Betreiber, die den Spirit von Berlin sowie Clärchens verstehen, sagte er im Juli der Zeitung B.Z.

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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