Glitzernde Spree
Stadtspaziergang zu Berlins alten Grachten

Historischer Hafen Märkisches Ufer und Fischerinsel-Ufer: Schiffe, die unter den Brücken durchpassen, können auch im Kanal festmachen. | Foto: Bernd S. Meyer
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  • Historischer Hafen Märkisches Ufer und Fischerinsel-Ufer: Schiffe, die unter den Brücken durchpassen, können auch im Kanal festmachen.
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Zu meiner 224. monatlichen Tour lade ich Sie an jene beiden Grachten Berlins ein, die ein wenig Holland an der Spree bewahren: Märkisches Ufer und Friedrichsgracht.

Mitten in der Millionenstadt Partien der Ruhe. Einst im 17. und 18. Jahrhundert waren holländische Wasserbauexperten maßgeblich am Bau der Kanalstrecken und auch der längst wieder verschwundenen Befestigungen beteiligt. In ihrer Heimat ist das nicht vergessen worden: Jahrzehntelang hatte die Berliner Botschaft des Königreichs der Niederlande in der westlichen Dorotheenstadt/Ecke Unter den Linden residiert, nicht weit vom Spreeufer entfernt, aber nur mit dem freien Blick zum trockenen Brandenburger Tor. Schon zwei Jahrzehnte genießen an der Klosterstraße die Den Haager Diplomaten von ihrem Neubau vor der Altberliner Spreeseite den Wasserblick.

Im Jahre 1977: Stadtzentrums-Baustellenblick gemalt von W. Womacka über Spittelmarkt und Spreekanal mit Gaststätte „Ahornblatt“ (links) und Turm des Märkischen Museums (ganz rechts). | Foto: Bernd S. Meyer
  • Im Jahre 1977: Stadtzentrums-Baustellenblick gemalt von W. Womacka über Spittelmarkt und Spreekanal mit Gaststätte „Ahornblatt“ (links) und Turm des Märkischen Museums (ganz rechts).
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Weit über den Fluss, der noch als Oberspree hier vor der Mühlendamm-Schleuse um eineinhalb Meter aufgestaut ist, in der Sommersonne glitzert und wie ein weiter See anmutet. Gegenüber Alt-Kölln mit den Fischerinsel-Hochhäusern. Links sieht man vom Rolandsufer hinüber zum Märkischen Museum mit seinem markanten Ziegelturm und noch weiter spreeaufwärts bis zur Jannowitzbrücke an der Brückenstraße. Genau dort am Botschaftsgebäude Chinas beginnt „Märkisches Ufer“, meint zuerst das Spree-, dann das Kanalufer. Denn genau dort beginnt der Spreekanal mit der berühmten historischen Häuserzeile. Die Inselbrücke führt auf die Köllnische Insel. Entlang der Uferpromenade mit den alten Eisengeländern zum Wasser - überall Grünflächen. Das einst dichtbebaute Viertel, längst mit dem Charme des Verfalls, verschwand Mitte der 60er-Jahre als letztes übriggebliebenes Quartier des mittelalterlichen Stadtgebiets.

Typisch für ein Gemeinwesen, das sich alle 30 Jahre neu erfinden will. Hier wurde das Sechs-Hochhäuser-Wohngebiet Fischerinsel im industriellen Typenbau mit überwiegend 21 Etagen errichtet. Die über 1600 Wohnungen in grüner Umgebung gelten noch fast 60 Jahre später als beliebte Adressen. Das damals gebaute Hallenschwimmbad blieb, die Großgaststätte „Ahornblatt“ mit dem berühmten Hyparschalen-Dach von Ingenieur Ulrich Müther verschwand. Von der Altbebauung Fischerkietz blieb fast nichts übrig, bis auf kuriose Ausnahmen. So kam die Innenausstattung des lokalen Standesamts, entworfen um 1905 vom Stadtarchitekten L. Hoffmann, in Pankows Rathaus, sogar mit geschnitztem Hund über der Tür als Symbol der Treue.

Mühlendammgeschichten: Die klassizistischen Neubauten der Königlichen Mühlen standen rund 50 Jahre, mussten um 1890 dem Brücken- und Schleusenneubau weichen.
 | Foto: Bernd S. Meyer
  • Mühlendammgeschichten: Die klassizistischen Neubauten der Königlichen Mühlen standen rund 50 Jahre, mussten um 1890 dem Brücken- und Schleusenneubau weichen.
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Ein barockes Bürgerhaus der Friedrichsgracht - wie auch das barocke, klassizistisch überformte Ermelerhaus aus der Breiten Straße wechselten Ende der 60er-Jahre über den Kanal hinüber ans Märkische Ufer und wurden mit ihrer bürgerlichen Anmutung zum Ort gehobener Gastronomie für besondere Anlässe. Wussten Sie, dass die Straße seit dem 18. Jahrhundert „Neukölln am Wasser“ hieß, der Name jedoch 1931 aufgegeben werden musste - wegen Verwechslungen mit der Stadt Rixdorf, die ab 1912 Neukölln heißen durfte? Ein geschmiedetes Schmuckgitter aus der Ruine der Nikolaikirche wurde in die Toreinfahrt von Haus Nr. 16/18 eingefügt, das seit den 70ern der Nationalgalerie als Otto-Nagel-Haus für Ausstellungen diente, heute Zentrales Bildarchiv der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Otto Nagel, 1895 in der Reinickendorfer Straße geboren, wurde in den 20er-Jahren der Maler des proletarischen Wedding. Nagel wurde 1933 gewählter Vorsitzender des Reichsverbandes Bildender Künstler, nach einem Tag vom Regime wieder abgesetzt. Er bekam Berufsverbot, 1936/37 sperrten die Nazis ihn ins KZ Sachsenhausen. Ende der 30er-Jahre begann er auf der Straße relativ unbehelligt Stadtansichten zu malen, zuerst in Wedding, dann im alten Berlin. Bis 1941/42 schuf er so weit über 100 Bilder, größtenteils erhalten: die Berliner Bilder. Da die meisten der Stadtpartien im Krieg und danach verschwanden, sind die Kunstwerke zugleich Dokumente, auch heute in Ausstellungen gezeigt.

Blick über die Spree zur Niederländischen Botschaft. | Foto: Bernd S. Meyer
  • Blick über die Spree zur Niederländischen Botschaft.
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Die Friedrichsgracht, erst hinter der Gertraudenbrücke als Uferstraße markiert, reicht bis Sperlingsgasse am Garten von Schloßplatz Nr. 1 dem einstigen Staatsrats-, nun Hochschulgebäude. Das Stück bis Schleusenbrücke hieß „An der Schleuse“, wurde vor 55 Jahren Fußweg. Alle Spreeschifffahrt ist hier geschleust worden, bis die Spree am Mühlendamm mit den ersten Dampfschiffen eine Schleuse erhielt. Hier blieb ein Wehr. Aber dafür gibt es nun schon gut 30 Jahre um die Inselbrücke den historischen Hafen. Dutzende Schiffe sind fahrbereit festgemacht. Darunter „Andreas“, Flaggschiff und wohl letzter echter Dampfer auf der Spree. Die Flussschiffer sind voll alter und neuer Geschichten. Das Projekt „Flussbad Berlin“ ist nicht museal, will den Kanal als öffentliche Badestrecke mit bester Wasserqualität. An der Wasser abgewandten Wallstraße ist Sitz der Botschaften Brasiliens, der Republik Kongo (Brazzaville) und Australiens. So sind hier, wo einst die drei südlichsten Bastionen der barocken Festung Berlin standen, drei Staaten des Globalen Südens vertreten. Am Märkischen Ufer kann man tief unter einem Gitterrost das Donnern der U2 hören, auch ganz kurz die Zugdächer sehen. Eine sehr verkehrsreiche Unterwelt. Gibt es doch wenige Dutzend Meter flussaufwärts noch zwei weitere U-Bahn-Tunnel unter der Spree, den Waisentunnel und jenen der U8.

Heinrich Zilles Bronzedenkmal steht im Köllnischen Park; Otto Nagels Porträtstele im Foyer des nach ihm benannten Hauses, Zille war einst Lehrer, zuletzt auch Freund Nagels. So kam, dass der ihn in Motiven gedachte. Zille zeichnete vor dem Ersten Weltkrieg, Nagel vor dem Zweiten Weltkrieg: Etwa die eiserne Jungfernbrücke, die die Oberwasserstraße mit der Friedrichsgracht verbindet und älteste erhaltene Stadtbrücke ist. Oder das Restaurant zum Nußbaum mit dem steilen Dachgiebel und dem Nußbaum davor. Zweimal Alt-Köllnische Idylle. Das Motiv aus dem alten Fischerkietz verschwand mit dem Abriss um 1965, doch heute kann jeder Tourist bezeugen, dass er dieses originale Restaurant im Alt-Berliner Nikolaiviertel seit spätestens 1987 mit dem echten, lebendigen Nussbaum gesehen und darunter ein echtes Bier getrunken hat.

Der Rundgang Märkisches Ufer und Friedrichsgracht beginnt am Sonnabend, 10. August, um 11 Uhr. Treffpunkt ist Wallstraße/Ecke Roßstraße; zu erreichen mit der U2 bis Märkisches Museum oder dem Bus 265 bis U-Bhf. Märkisches Museum. Diese Tour wiederhole ich am Sonnabend, 17. August, um 14 Uhr. Die Teilnahme kostet dann aber neun, ermäßigt sieben Euro. Anmeldung dafür unter der Telefonnummer 030/442 32 31.

Die Führung am 10. August ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Montag, 5. August, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 277 307.

Autor:

Bernd S. Meyer aus Mitte

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