Die Menschen aus der DDR
Die heutige Zeit kennt nur den Blick nach vorn. Immer schneller, immer weiter, immer besser, immer perfekter. Wenn wir aber unseren Blick in die Vergangenheit richten, dann schaudert es uns. Weltkriege, Faschismus, der kalte Krieg, der Ost-West-Konflikt. Es scheint, als würden wir uns so rasant entwickeln wollen, um unsere Vergangenheit so schnell und so weit wie möglich hinter uns zu lassen.
Aber was versuchen wir eigentlich, hinter uns zu lassen, oder gar "abzuhängen"? Über die großen Themen haben wir alle eine Meinung, und für gewöhnlich sogar eine sehr kritische. Doch sobald wir wahrnehmen, was uns als Erbe in die heutige Zeit begleitet, gelangen Spannungen in unser Leben, mit denen wir nur schwer umzugehen wissen.
Es sind Zeitzeugen, Opfer, Täter und die einfachen Mitmenschen, die zu der damaligen Zeit lebten und uns heute noch erhalten geblieben sind. Aber gerade das lässt uns immer wieder einen inneren Konflikt austragen.
Sind wir alt oder sind wir neu? Sind wir damals oder sind wir heute? Wie viel von früher steckt in uns? Wie sollen wir es werten und wie sollen wir uns wahrnehmen? Sind wir schlecht, weil uns etwas begleitet, was historisch Schaden verursachte, Familien auseinander gerissen und Leben zerstört hatte?
Oder sind wir einfach nur "wir". Ein Wesen in der heutigen Zeit, was die Vergangenheit erlebte, fortwährend die Konsequenzen erfährt und das Beste aus der heutigen Zeit macht?
Die Antwort dazu ist denkbar einfach. Aber um die Antwort verstehen zu können, müssen wir zuhören, was die vielen Menschen aus der ehemaligen DDR uns zu sagen haben:
"Das Ende der DDR war nicht leicht für uns. Für manche schon, für andere wiederum nicht. In der DDR hatten wir gelernt, in einem System zu leben, was uns sagte, wie wir zu leben hatten. In der BRD sagte uns niemand, wie wir zu leben hatten. Uns sagte auch niemand, wie das System funktioniert, in das wir geworfen wurden, wie man sich darin durchsetzt oder überhaupt, wie man darin überlebt.
Viele von uns scheiterten fürchterlich. Natürlich, wir leben, aber was blieb von unserer Heimat? Der Westen war immer "der Feind", so sagten es unsere Lehrer, unsere Zeitungen und unsere Politiker. Aber wir wussten, dass auf der anderen Seite der Mauer auch nur Menschen waren, so wie wir - dass da Deutsche waren, so wie wir.
Nach dem Mauerfall waren wir plötzlich woanders, in einem anderen Land, welches Teil einer anderen Welt war. Wir machten eine Weltreise, landeten wie Außerirdische an einem Ort, den wir aus Geschichten und Westpaketen kannten. Wir machten eine Reise ohne Wiederkehr. Und das ohne unser Zuhause verlassen zu haben.
Zuerst wurden wir mit Jubel empfangen. Aber mit der neuen Einheit und der neuen Freiheit kamen Verpflichtungen und Aufgaben, auf die niemand von uns vorbereitet war. Der Jubel war schnell ersetzt worden durch Spott, Hohn und einem gefühlten Klassensystem, welches sich gesellschaftlich etablierte. Diese neue Klasse galt als ungebildet, schlecht finanziert, arbeitslos, geldfressend, unkooperativ, faul, wirtschaftlich abgeschlagen und arm an Perspektiven - "der Ostdeutsche".
In der DDR lebten wir unser Leben ohne Böses zu wollen. Wir gingen auf die Straßen und kämpften für die Wiedervereinigung. Aber wir waren niemals darauf aus, jemanden schaden zu wollen. Wir wollten die Einheit, weil wir hofften, dass es Frieden schafft und uns allen ein besseres Leben bringt.
Vielleicht waren wir naiv, weil wir erwarteten, dass alles leichter ginge. Wir hatten nicht erwartet, dass unsere Renten und Gehälter gekürzt, dass unsere Abschlüsse zwar anerkannt, aber nicht entlohnt und dass unsere Fabriken geschlossen und deportiert wurden. Wir erwarteten auch nicht, dass Vieles, was wir lernten und lebten, plötzlich als falsch galt. Unsere Produkte verschwanden aus den Regalen. Unsere Arbeitsplätze wurden verschenkt und gestrichen. Unsere Infrastruktur wurde zurückgefahren und unsere Firmen und Güter wurden an westdeutsche Unternehmer verschenkt. Wir hatten nicht erwartet, dass wir nach alledem dann als diejenigen gelten, die "Deutschland auf der Tasche liegen" oder sogar als "Entwicklungshemmnis" gesehen werden.
Eigentlich sind wir nur ganz normale Menschen. Wir verstehen, dass viel getan werden musste und auch viel von Anderen getan wurde, damit wir zu einem Land werden. Aber wir haben mindestens genauso viel tun müssen. Immerhin waren wir die Fremden, die sich anpassen mussten. Waren es nicht sogar wir, die von Anfang an sagten: "Wir sind das Volk"? Waren es nicht auch wir, die mit ihren Sitten, Gewohnheiten, Renten, mit ihrer Wirtschaft und Sicherheit für die Einheit bezahlten? Es wäre gelogen, würden wir nun sagen, dass alles geplant und wir dazu bereit gewesen wären. Aber letztendlich war es das, was wir geben mussten.
Wir wollen niemanden einen Vorwurf machen. Wir sind enttäuscht, dass wir immer noch die "Ostdeutschen" sind. Es macht uns traurig, dass unsere Kinder zu "Ostdeutschen" werden. Wir wollen keinen Dank. Wir wollen auch keine Entschuldigung. Eigentlich wollen wir nur etwas Respekt. Wir sind zwar zur Gehorsamkeit erzogen und verhalten uns etwas anders, aber wir wollen trotzdem Deutsche sein - ohne "Ost-" oder "West-". Wir müssen zwar noch lernen, Fragen zu stellen und Antworten zu geben. Aber wir wollen nicht das Gefühl haben, dass wir nur ein Teil Deutschlands werden können, indem wir auf unsere Vergangenheit schimpfen und dem Ende der Diktatur huldigen. Letztendlich hatten viele von uns einfach nur ein bescheidenes Leben in der DDR geführt, in dem es um unsere Familien, unsere Freunde und unsere Arbeit ging. Tun das die Deutschen nicht heute immer noch genau so?
Wir wollen letztendlich nur "gleich" sein und dazu gehören, ohne wenn und aber. Was wir aber auf gar keinen Fall wollen, ist, dass durch Hilfestellungen wie der Ost-West-Ausgleich Orte in Westdeutschland darunter leiden, z.B. dass Kommunen und Gemeinden in Schleswig-Holstein vergessen oder Häuser in Wuppertal maroder werden. Wir wollen keinen Angleich, indem es anderen schwerer gemacht, sondern indem uns das Gefühl des "Gleich seins" vermittelt wird.
Unsere Antwort ist daher: Lasst uns versuchen, das Beste aus allem zu machen und keine neuen Unterschiede schaffen.
Die Frage, die wir stellen wollen: Macht ihr mit?"
Eine Abbildung aus der Zusammenführung von Aussagen und Meinungen deutscher Mitbürger/innen aus der ehemaligen DDR.
Autor:Alexander Langer aus Mitte |
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