Spurensuche in Ostberlins berühmtesten Hochhauskiez
In "Die Kinder der Fischerinsel" trifft Andreas Ulrich seine alte Schulklasse wieder
Nach seinem Bestseller „Torstraße 94“ hat Andreas Ulrich ein zweites Buch über seine Kinder- und Jugendjahre in Ostberlin geschrieben. „Die Kinder von der Fischerinsel“ ist ein persönliches Portrait über die prominente DDR-Hochhaussiedlung und ihre Bewohner.
Nina Hagen hat Andreas Ulrich nie getroffen. Obwohl der Freund der schrillen Punkerin im selben Hochhaus wohnte wie er. Dafür sah Ulrich den Schauspieler Volkmar Kleinert öfter. Und den gelben Sportwagen von Herbert Köfer draußen auf dem Parkplatz. Im Nachbarhaus ging Schlagersänger Frank Schöbel ein und aus, und im Haus Nummer neun lebte die Dichterin Sarah Kirsch im 17. Stock. Auch Kinderbuchautor Benno Pludra und der Chef der Auslandsspionage, Markus Wolf, wohnten in einem der Hochhäuser. Andreas Ulrich hat sie alle gesehen auf der Fischerinsel, die berühmten Schauspieler, Musiker, Schriftsteller und Staatsfunktionäre. Damals, in den Siebziger Jahren, als er noch ein zehnjähriger Junge war und in die 5a der 15. POS ging. Seine Eltern waren mit ihren vier Kindern im Herbst 1970 in eine Vier-Raum-Wohnung auf der Fischerinsel gezogen, Hausnummer sechs, erste Etage, Wohnung 01/06.
50 Jahre später begibt sich der Journalist und Autor auf Spurensuche in seinem ehemaligen Wohnviertel im Herzen Berlins. Was ist wohl aus den Kindern der Fischerinsel geworden? Aus Donald, Annette, Bernd, Tatjana, Ann-Maren und all den anderen Klassenkameraden? Andreas Ulrich wollte es wissen. „Was ich zu hören bekam, waren spannende Lebensgeschichten, komische und dramatische, tragische auch.“ Andreas zum Beispiel erlebte als Kind auf der Fischerinsel ein echtes Erdbeben und später als Polizist seinen ersten Mordfall. Heute ist er im Vorruhestand. Kerstin floh von der Fischerinsel direkt in den Westen. Jörg brachte es zum absoluten Spitzenverdiener. Und für Moritz waren die Jahre auf der Fischerinsel die traurigsten in seinem Leben.
So weit weg wie Timbuktu
17 seiner alten Mitschüler hat Andreas Ulrich für sein Buch portraitiert. Die meisten fand er in Berlin und Brandenburg. Einige hat er vergeblich gesucht. „Von ihnen verliert sich jede Spur.“ Zwei sind gestorben. Einer ist auf die Insel zurückgekehrt. Er selbst hat daran nie gedacht. Für ihn war die Fischerinsel nach seinem Auszug so weit weg wie Timbuktu. Außer, er fuhr mit dem Auto vorbei. Seinen Mitschülern ging es in den späten Neunzigern bei einem Klassentreffen ähnlich. „Die Fischerinsel als Treffpunkt war uns inzwischen wohl allen peinlich“, sagt Ulrich. Also verabredete man sich in einem Lokal am Hackeschen Markt. Im Anschluss bekam jeder eine Adressliste zugeschickt. Die half ihm dabei, sie heute wieder aufzuspüren. „Total verblüfft“, schildert Andreas Ulrich die erste Reaktion am Telefon. „Du, Mensch, das ist doch schon so lange her.“ Also plauderte man über die Prominenten der Fischerinsel. Das war ein guter Anfang, um Verschüttetes auszugraben.
Auch für Andreas Ulrich war das Buch Erinnerungsarbeit, eine Blende zurück in eine Zeit, die er als „weder dramatisch noch schön“ beschreibt. „Die Jahre nach der Fischerinsel, die waren für mich erst richtig spannend.“ Und trotzdem: „Das Schreiben hat mich wieder mit meiner Jugend verbunden.“ Viele Leser seines Buches haben ähnlich empfunden. Nach der ersten Auflage, vergriffen in drei Wochen, hat Andreas Ulrich eine Menge Briefe und Mails bekommen. „Von Leuten, die auf der Fischerinsel gewohnt oder gearbeitet haben.“ Und die wie seine Eltern Normalos waren. „Die schicke Bleibe auf der Fischerinsel hatten wir ausschließlich meiner hartnäckigen Mutter zu verdanken“, erzählt Ulrich. „Seit ich denken kann, rannte Mutti jede Woche ins Wohnungsamt am Alexanderplatz, wo sie beharrlich darauf pochte, dass unserer kinderreichen Familie eine moderne Wohnung zugeteilt wird.“ Im Herbst 1970, wie gesagt, war es dann soweit. Die Ulrichs zogen von der Torstraße 94 mit Ofenheizung und Außenklo in den einzigartigen Hochhauskiez.
„Die Kinder von der Fischerinsel“ ist im be.bra.Verlag erschienen – inzwischen in zweiten Auflage. Das Buch kostet 20 Euro. Von der Buchpremiere gibt es ein Video im Netz, zu sehen auf Youtube unter https://bwurl.de/16lq oder in der ARD-Mediathek.
Autor:Ulrike Kiefert aus Mitte |
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