"Diesmal wähle ich"
Bürger motivieren Bürger, an der Europawahl am 26. Mai teilzunehmen
Das britische Parlament ringt um einen mehrheitsfähigen Weg aus der EU. Neil Cummins hofft, dass der Austritt auf den letzten Metern noch scheitert. Der Wahlberliner aus England hat lange im europäischen Ausland gearbeitet. Kommt der Brexit, steht sein Lebenskonzept infrage. Hätten alle pro-europäischen Briten gewählt, wäre der Austritt nicht beschlossen worden – davon ist Cummins überzeugt. Deshalb will er Menschen mobilisieren, am 26. Mai das EU-Parlament zu wählen und beteiligt sich an der Kampagne “Diesmal wähle ich“. Die eigene Stimme abzugeben, ist eine Verantwortung, findet er.
Als Neil Cummins 2013 nach Berlin kam, wusste er schnell, dass er in der facettenreichen Stadt bleiben wollte, und zwar gleich mit Frau und Kind. Ähnlich ging es ihm zuvor in Novelda, einer Kleinstadt im Osten Spaniens. Als Immobilienverwalter hat er in Alicante, Valencia, Almeria und Málaga gearbeitet, aber auch im bulgarischen Sofia. Freizügigkeit, das ist für Cummins, der vor 17 Jahren seinen englischen Heimatort Southampton verließ, um im Ausland zu leben, eine der ganz großen Errungenschaften der Europäischen Union.
Privilegien nicht selbstverständlich
Die Tatsache, dass seine Familie und er dieses Recht und andere verlieren könnten, treibt ihn um. Zu viele Briten, die für den Brexit gestimmt haben, hätten nicht erkannt, was für Vorteile ihnen durch die EU zuteil würden. Damit meint er nicht nur Förderprogramme wie den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, der in Berlin etwa für nachhaltige Stadtentwicklung Gelder bereitstellt. Cummins geht es um ganz Grundsätzliches, um starke Demokratien, wirtschaftliche Stabilität und den Frieden auf dem Kontinent. Darüber redet er mit Leidenschaft. Was ihm bei etlichen Gesprächen, die er führt, allerdings auffällt: Vielen ist nicht bewusst, wie eng diese und andere zum Standard gewordenen Privilegien mit dem Bestehen des Staatenbundes verknüpft sind. „Die Menschen haben das Gefühl, nicht persönlich mit der EU verbunden zu sein“.
Dass viele Bürger eine Distanz zur EU empfinden, hat auch das Europäische Parlament festgestellt. Damit die Wahlbeteiligung am 26. Mai höher ist, hat es die Kampagne „Diesmal wähle ich“ auf den Weg gebracht, die europaweit dazu aufruft, die eigene Stimme abzugeben. Bei der vorigen Parlamentswahl 2014 hatten dies nur insgesamt 42,6 Prozent der EU-Bürger getan, in Deutschland 48,1 Prozent. Gemeinhin wird als Grund dafür Desinteresse angenommen.
Die Kampagne „Diesmal wähle ich“ besteht aus mehreren Komponenten. Über what-europe-does-for-me.eu/de/portal können sich Bürger nach Kategorien sortiert etwa darüber informieren, welche Auswirkungen die EU auf ihr Leben und ihre Region hat. Auf www.europawahl.eu/ finden sie knappe Hinweise zum Wahlverfahren und zum Parlament. Wer sich bei www.diesmalwaehleich.eu/?recruiter_id=8689 registriert, bekommt eine Erinnerung zur Wahl und Informationen über Infoveranstaltungen in der Nähe. Darüber hinaus ist es dort möglich, sich mit anderen zu vernetzen und selbst aktiv zu werden – so wie Neil Cummins.
Die EU wird persönlich
Gemeinsam mit anderen plant er Aktionen in der Stadt, um Menschen über die Wahl zu informieren. Eine seiner Mitstreiterinnen, die Kulturmanagerin Alice Choquart aus der Normandie, fasst das so zusammen: „Die EU tut viele gute Dinge, aber Kommunikation gehört nicht zu ihren Stärken. Nur wenige Menschen beschäftigen sich damit, wie die EU aufgebaut ist, wie Entscheidungen zustande kommen. So fehlt Transparenz. Und genau darin sehen wir unsere Aufgabe: mit Leuten über die Zusammenhänge zu sprechen.“
Dass das europäische Parlament Bürger mobilisiert, um mit Materialien über die EU aufzuklären, die viele Errungenschaften des Staatenbundes aufzeigen, wird nicht nur positiv gesehen. EU-Kritiker etwa, die die derzeitige Organisation der Staaten infragestellen, sehen eine einseitige Werbung für das bestehende System. Dem widersprechen Cummins und Choquart entschieden: „Es gibt große Missverständnisse bei den Bürgern, was auch daran liegt, dass die Regierungen die EU teilweise als Sündenbock benutzen. Die Kampagne soll eben auch die positive Seite zeigen, weil die viel zu oft zu kurz kommt“, sagt Cummins.
Rechtspopulisten schürten derzeit Ängste vor einer starken EU, in der viele Entscheidungen international getroffen werden. Die demokratische Institution des EU-Parlaments böte Bürgern daher Fakten an, um sich ein Bild davon zu machen, was diese Zusammenarbeit bisher bewirkt hat. Bei „Diesmal wähle ich“ gehe es nicht darum, bestimmte Meinungen zu stärken, es würde lediglich darüber informiert, wie sich die Mitgliedschaft in der EU auf die Lebensbedingungen der Menschen auswirkt. Die Hauptbotschaft, sagt Choquart, ist: „Beschäftigt euch damit, welche EU ihr euch wünscht, stimmt für das, was euch wichtig ist, denn eure Stimme hat Kraft.“
Autor:Josephine Macfoy aus Schöneberg |
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