„2019 sollen keine Sprechstunden mehr ausfallen
Mittes Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) über seine Pläne für das neue Jahr
Noch mehr Milieuschutz, zusätzliche Standesbeamte, mehr Bäume pflanzen als fällen und Dienstfahrräder für alle Beschäftigten im Bezirksamt: Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) sagt im Jahresinterview mit der Berliner Woche, was im neuen Jahr besser werden muss.
Herr von Dassel, was war für Sie das Wichtigste im vergangenen Jahr?
Stephan von Dassel: Wenn ich statt der globalen Lage unseren Bezirk in den Blick nehmen soll, dann, dass wir mehrere hundert Mieter und Mietrinnen bei Verkäufen von Häusern in Milieuschutzgebieten vor hohen Mietsteigerungen und Luxusmodernisierung schützen konnten. Dies haben wir erreicht, indem wir im Wedding und Moabit in mehreren Straßenzügen entweder selbst als Bezirk Häuser angekauft oder mit den Erwerbern entsprechende Vereinbarungen getroffen haben.
Sie betonen immer, wie wichtig Ihnen Transparenz und Bürgerbeteiligung sind. Im Wöhlertkiez gegenüber dem BND hat das Bezirksamt über Nacht nach Jahrzehnten die Einbahnstraßenschilder abgeschraubt. Die Anwohner waren sauer, fühlen sich alles andere als beteiligt. Und die Posse um die Straßenumbenennung im Afrikanischen Viertel ist für die Bürger auch kein Beispiel von Bürgerbeteiligung.
Stephan von Dassel: Mit den Anwohnenden sind wir seit Langem im Gespräch und haben die Aufhebung der Einbahnstraße angekündigt. Allerdings war eine Baufirma zu schnell mit der Beseitigung der Schilder, was aber schnell rückgängig gemacht wurde. Verkehrsuntersuchungen belegen, dass sich die Geschwindigkeit der Autos reduziert, wenn sie mit Gegenverkehr rechnen müssen. Zurzeit diskutieren wir mit den Anwohnenden Fahrbahnverengungen, Querparken und andere Möglichkeiten zur Gestaltung des sogenannten Grünen Dreiecks. Die Bürgerbeteiligung im Afrikanischen Viertel war wirklich umfassend, aber wenn Straßennamen eine überörtliche Bedeutung und Tragweite haben, können nicht nur die Anwohnenden entscheiden.
Das Bezirksamt stellt sich deutlich vor die Mieter, erlässt immer mehr sogenannte Milieuschutzgebiete und nutzt bei Hausverkäufen sein kommunales Vorkaufsrecht, um die Bewohner vor Verdrängung zu schützen. Gehen Sie diesen Weg auch 2019 weiter?
Stephan von Dassel: Unbedingt! Aber das kann nur ein Anfang sein. Wir müssen den Immobilienirrsinn stoppen, zum Beispiel indem ausländischen Fonds, vielleicht sogar Fonds überhaupt, der Immobilienerwerb in Berlin untersagt wird. Die Mietpreisbremse muss endlich so gestaltet werden, dass sie funktioniert. Und wir müssen es schaffen, dass Investoren mehr kostengünstigen Wohnraum bauen.
Die Verwaltung funktioniert immer noch nicht richtig. Sprechstunden fallen aus, weil Mitarbeiter fehlen. Stichwort Standesamt. Kann man in Mitte noch heiraten?
Stephan von Dassel: Ich kann mich nur dafür entschuldigen, wenn Bürgerinnen und Bürger zum Teil monatelang auf einen Termin warten. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Verkettung von schweren Krankheitsfällen, Wegbewerbungen und zu wenig Planstellen nicht wiederholt. Zusammen mit dem Senat haben wir zudem ein bezirksübergreifendes flexibles Einsatzteam mit Standesbeamten beschlossen, denn Standesbeamte können nur durch Standesbeamte vertreten werden. Und wir werden drei weitere Standesbeamte einstellen.
Gibt es etwas, von dem Sie sagen: Das habe ich 2018 nicht geschafft, da haben wir nicht geliefert?
Stephan von Dassel: Wir müssen dringend neue Konzepte für obdachlose Menschen finden und auch endlich den Status von Obdachlosen aus EU-Staaten klären. Zwar muss niemand in Berlin auf der Straße schlafen, aber oft werden die vorhandenen Hilfen, einschließlich der Kältehilfe, nicht angenommen, zum Teil auch weil die Menschen zu krank sind, um selbst diese an sich niedrigschwelligen Angebote zu nutzen. Das merke ich selbst, wenn ich in der U-Bahn angesprochen werde und dann die Vermittlung in Hilfeangebote anbiete. Nur unter der Brücke die Menschen mit Tee und Schlafsack zu versorgen, kann doch keine dauerhafte Lösung sein.
Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hat im April in einem Interview gesagt, dass es in Berlin Gegenden gibt, „in denen man sich zu später Stunde lieber ein Taxi nimmt als alleine zu Fuß unterwegs zu sein.“ Gibt es im Bezirk auch Orte, die Sie nachts lieber meiden?
Stephan von Dassel: Nein, ich fühle mich überall im Bezirk sicher, aber ich bin mir bewusst, dass viele einem höheren Risiko ausgesetzt sind als ich, zum Beispiel ältere Menschen. Die Kriminalität ist auch dank der guten Arbeit der Polizei zurückgegangen, und wir wollen das Sicherheitsgefühl der Menschen weiter verbessern, gerade in Grünanlagen und auf öffentlichen Plätzen. Mit dem Ausbau der Suchthilfe, zusätzlichen Platzdiensten und erheblich mehr Personal im Ordnungsamt tragen wir dazu bei.
Was sind Ihre drei großen Projekte oder Ziele für den Bezirk 2019?
Stephan von Dassel: Mehr Mieterschutz und die Ausweitung der Milieuschutzgebiete habe ich genannt. Darüber hinaus müssen wir in allen Bereichen mehr für den Klimaschutz tun: mehr Bäume pflanzen als fällen, den Baumbestand an extreme Wetterlagen anpassen, allen Beschäftigten Dienstfahrräder anbieten und den Energiebedarf der Dienstgebäude reduzieren. Zweitens will unser Gesundheitsamt alle neugeborenen Kinder besuchen, damit wir Familien so früh wie möglich unterstützen können. Drittens soll 2019 das Jahr werden, an dem keine unserer Sprechstunden ausfällt und kein/e Bürger/in unzumutbar warten oder sich gar zu Recht beschweren muss.
Ihre persönlichen Wünsche für das neue Jahr?
Stephan von Dassel: Mehr Äpfel, weniger Kekse. Mehr tanzen, weniger sitzen. Und meinen neuen Fernseher verstehen.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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