Mittes jüngste Stadträtin
Ramona Reiser, 33 Jahre alt, leitet eine Behörde mit 600 Mitarbeitern
Ende Dezember hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) die Kandidatin der Linken als Nachfolgerin von Sandra Obermeyer zur neuen Stadträtin für Jugend, Familie und Bürgerdienste gewählt. Am 2. Januar wurde Ramona Reiser vereidigt.
„Noch ist alles super ungewohnt“, sagt Ramona Reiser zu ihrem neuen Arbeitsplatz in der siebten Etage des Rathauses Mitte in der Karl-Marx-Allee 31. Wenn sie aus dem Fenster ihres kleinen und eher spartanisch eingerichteten Stadtratbüros schaut, kann sie ihren bisherigen Arbeitsplatz sehen. Im Bogen des S-Bahnhofs Jannowitzbrücke hatte sie bis vor wenigen Tagen ihren Schreibtisch. Reiser war in der Bundesgeschäftsstelle der Bahnhofsmission für Finanzen und Spenden zuständig. Ihr Foto ist dort immer noch auf der Website. Ein Vorzimmer gab es nicht, nur das Rattern der S-Bahn oben drüber.
„Man kommt sich ein bisschen einsam vor“, beschreibt die junge Stadträtin ihre ersten Gefühle im Chefbüro. Mit nur 33 Jahren leitet Reiser eine riesige Behörde. Einigen wenigen der rund 400 Mitarbeiter des Jugendamtes und 200 Kollegen aus der Abteilung Bürgerdienste hat sie schon die Hand geschüttelt.
Sozialarbeiter funken SOS
Auch wenn die erste Bezirksamtssitzung noch recht entspannt ablief, wird der Job mächtig Fahrt aufnehmen. Im Jugendamt gibt es seit Jahren Probleme mit überlasteten Kollegen. Gerade die Sozialarbeiter in den für den Kinderschutz zuständigen Regionalen Sozialen Diensten (RSD), die sich um Problemfamilien kümmern, funken immer wieder SOS. Reiser will mehr Personal und das „vorhandene entlasten, dass es vernünftig weiterarbeiten kann“. Dass Bürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) als Ziel für 2019 ausgegeben hat, dass keine einzige Sprechstunde im Bezirksamt mehr ausfallen soll, findet Reiser „sehr allgemein gehalten“ und ist da „sehr vorsichtig“. Versprechen will sie so etwas nicht, sagt nur, „es soll sich bessern“.
Im Jugendamt fallen immer wieder Sprechstunden aus, weil die Mitarbeiter Aktenberge abarbeiten müssen. Und das Standesamt Mitte ist wegen des Terminchaos‘ für Heiratswillige ein rotes Tuch. Ehetermine gibt es seit Monaten nur noch online, theoretisch. Man kann in Mitte noch heiraten, sagt Reiser, „aber die Termine sind das Problem“. Zu dem Missstand, dass es kaum Termine online gibt, sagt die Stadträtin: „Man muss leider dran bleiben“. Vorrang in Mitte haben Geburtsurkunden. Eltern müssen darauf „soweit ich weiß vier bis fünf Wochen“ warten, sagt Reiser. Es sei schon besser geworden, aber „das ist nicht Spitze“. Berlinweit sei Mitte damit dennoch „nicht schlecht. Das sticht nicht vor“, glaubt die Politikerin. In die Details muss sich die Neue wohl noch einarbeiten. Denn das Standesamt Mitte sticht auf jeden Fall hervor. Laut Innenstaatssekretärin Sabine Smentek (SPD), übrigens Vor-Vorgängerin von Ramona Reiser auf dem Stadtratposten, waren im Standesamt Mitte im Dezember 400 Geburtsurkunden-Fälle offen, und damit die meisten von allen Bezirken.
In den nächsten Wochen will die Stadträtin „gucken, wo die offenen Baustellen sind, die Sandra Obermeyer hinterlassen hat“. Kitaausbau, strengere Kontrolle der Zweckentfremdung von Wohnraum und bessere Dienstleistungen für Bürger nennt sie als Prioritäten. Ein großes Projekt ist das Familienservicebüro, das im März starten soll. Eltern sollen dort von Elterngeld über Kitagutscheine und Unterhaltsfragen bis hin zu Vormundschaftssachen alles an einem Ort erledigen können.
Seit 2014 bei der Linken
Ramona Reiser wurde 1985 in Villingen im Schwarzwald geboren und kam 2005 zum Studium nach Berlin. Hier hat sie 2011 ihren Master of Arts gemacht. Die Theaterwissenschaftlerin hat jahrelang als Dramaturgie- und Regieassistentin unter anderem am Berliner Ensemble gearbeitet. Bis Reiser nach ehrenamtlichem Engagement bei der Bahnhofsmission dort 2016 einen festen Job bekommen hat, hat sie sich drei Jahre lang mit Jobs wie Nachhilfe und Klavierunterricht über Wasser gehalten. Die 33-Jährige lebt mit ihrem Freund in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in Moabit.
Politisch engagiert sich Ramona Reiser seit Eintritt in die Partei Die Linke 2014. Bereits 2016 wurde sie in die BVV gewählt. Reiser war bisher im BVV-Vorstand, Vorsitzende des Sportausschusses sowie Mitglied im Jugendhilfeausschuss und im Ausschuss Bildung und Kultur. Als im Sommer 2018 bekannt wurde, dass die bisherige Jugendstadträtin Sandra Obermeyer in die Senatsbauverwaltung wechseln will, wollte sie sich bewerben. „Auf jeden Fall eine Frau“ sollte Obermeyers Nachfolgerin werden. Doch der Linke-Bezirksvorstand nominierte den langjährigen BVV-Politiker Sven Diedrich fürs Bezirksamt. Der 54-Jährige wollte bereits 2016 Stadtrat werden, zog dann aber überraschend zurück. Diesmal wurde Sven Diedrich im November vom Linke-Landesvorstand wegen alter Steuerschulden zurückgepfiffen. Die Partei befürchtete nach der Affäre um André Holm eine weitere Schlammschlacht wegen einer umstrittenen Personalie. Damit war der Weg für die zweite Kandidatin der Linken, Ramona Reiser, frei. Sie will „Verantwortung übernehmen“, sagt sie. Die Person, die sie sich als neue Stadträtin gewünscht hat, war nicht zu finden, so Reiser. „Dann muss ich es selber machen“, dachte sich die Politikerin. Ihre Schlussfolgerung damals: „Ich muss jetzt die Person sein, auf die ich warte, die ich mir selber wünsche“.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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