Der geteilte Bezirk
Trotz Quartiersmanagement klafft die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander
Der Bezirk Mitte wächst immer weiter und seine Probleme auch. Das geht aus dem Bericht zur sozialen Lage hervor.
Wird ein Kind in Wedding geboren, ist die Chance, nicht übergewichtig zu werden, einen guten Schulabschluss zu schaffen, die deutsche Sprache zu beherrschen und einen Job zu bekommen deutlich geringer als in Alt-Mitte. Das sagt Sozialstadtrat Ephraim Gothe (SPD) nach Auswertung des aktuellen Sozialberichts. Sein Sozialexperte Jeffrey Butler hat auf 84 Seiten in Dutzenden Diagrammen und Tabellen die soziale Lage im Bezirk analysiert, die zehn Bezirksregionen miteinander verglichen und Mitte auch im Vergleich zu den anderen Bezirken eingeordnet. „Von Chancengleichheit sind wir innerhalb Berlins und innerhalb des Bezirks weiter entfernt als vor 20 Jahren“, so Gothe.
Der Bezirk ist tiefgespalten; und die Armutsgrenze verläuft entlang der einstigen Grenze zwischen West- und Ostberlin. Insgesamt ist der Anteil an Sozialhilfeempfängern im Bezirk zwar von 2001 bis 2017 um fünf Prozentpunkte auf knapp 24 Prozent zurückgegangen (schlechter sind nur Spandau und Neukölln), aber die Unterschiede sind gewaltig.
Gigantische Unterschiede
Nördlich der Bernauer Straße liegt der Hartz-4-Anteil in der Brunnenstraße-Nord in Gesundbrunnen bei 36,8 Prozent. Ein paar Meter südlich, im ehemaligen Ostberlin rund um den Weinbergspark, sind gerade mal fünf Prozent auf Stütze angewiesen. Dort wohnen die Besserbetuchten in teuren, schicken Wohnungen. Und auch die Betroffenheit von Kindern und Jugendlichen in Hartz-4-Haushalten ist in Wedding und Gesundbrunnen dramatisch hoch und treibt den Bezirksdurchschnitt auf 43,5 Prozent. Der Gesamtbezirk landet damit auf Platz zwei bei der Kinderarmut hinter Neukölln. „Gigantisch“ sind laut Gothe auch hier die Unterschiede in den Bezirksregionen. In der Brunnenstraße-Süd leben sechs Prozent der Kinder in Sozialhilfe-Haushalten, im Soldiner Kiez 65 Prozent.
Das Sozialamt muss jährlich 240 Millionen Euro für Wohngeld und andere Kosten der Unterkunft zahlen. Das sind Zuschüsse für Arme und Wohnungslose, die zum größten Teil bei privaten Vermietern landen. Denn 90 Prozent der Betroffenen leben in privaten Wohnhäusern. Gothe fordert deshalb, dass der Mindestlohn gravierend auf mindestens 12,63 Euro steigen muss. „Die Menschen müssen mehr verdienen, damit sie sich Wohnungen leisten können“, so der Stadtrat.
Millionen fürs Quartiersmanagement
Beim dringend benötigten Wohnungsneubau will Gothe, dass die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften Vorrang haben. Staatliche Vorkaufsrechte müssten erweitert werden. Mitte nutzt das kommunale Vorkaufsrecht, wenn möglich, um Mieter bei Hausverkäufen vor Verdrängung zu schützen. Das geht laut Baugesetzbuch nur in Milieuschutzgebieten. Ephraim Gothe möchte auch eine „Steuer auf leistungslose Gewinne“, also wenn Investoren Grundstücke kaufen und sie mit neuem Planungsrecht teuer weiterverkaufen. Solche Themen der Bodenpolitik seien wichtiger als Enteignungsdiskussionen von großen Wohnungsgesellschaften. Die könnten vor Gericht scheitern; außerdem würde eine Rückkauf von zum Beispiel Tausenden einst landeseigenen GSW-Wohnungen keine einzige neue Wohnung schaffen.
Mitte, mit 377 000 Einwohnern (knapp 50 Prozent mit Migrationsstatus) hinter Pankow zweitgrößter Bezirk, ist einer der ärmsten in Berlin. Beim Pro-Kopf-Einkommen liegt Mitte mit 1075 Euro (2001 waren es 775 Euro) auf Platz zwei hinter Neukölln. Dort ist das Pro-Kopf-Einkommen mit 1025 Euro am niedrigsten. Spitzenreiter im Bezirksvergleich ist Pankow mit 1475 Euro (2001: 875 Euro) Pro-Kopf-Einkommen. Der Bezirk im Norden hat fast überall die Nase vorn, auch bei Bildungstand und anderen Parametern. Nur zwölf Prozent der Kinder leben in Pankow in Hartz-4-Familien.
In die bestehenden Quartiersmanagementgebiete in Wedding und Gesundbrunnen hat der Senat in den vergangenen 20 Jahren Hunderte Millionen Euro gepumpt. Trotzdem werden die sozialen Probleme nicht besser. Für Gothe ist das QM dennoch wichtig, weil es sonst viel schlimmer wäre. Es würden immer wieder neue Leute in die Problemkieze ziehen, sich im Quartier engagieren und dann, wenn sie sich „gesettelt haben“, so Gothe, wieder wegziehen, zum Beispiel nach Pankow. Aber es kämen immer wieder neue.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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