Wirtschaft gegen Straßensperrung
Unternehmen lehnen "Verkehrsversuch" auf der Friedrichstraße ab
Gegen den von Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) am 4. März angekündigten „Verkehrsversuch“, die Friedrichstraße von Anfang Juni bis Ende November für den Autoverkehr zu sperren, regt sich massiver Widerstand.
In einer gemeinsamen Erklärung appellieren Wirtschaftsvertreter, die „Existenz der Unternehmen an der Friedrichstraße zu sichern und die Straßensperrung auszusetzen“. Den Appell haben die Industrie- und Handelskammer (IHK), der Handelsverband Berlin-Brandenburg, der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) sowie der Händlerverein „Die Mitte“ verfasst. Sie fordern zumindest in der Corona-Zeit, auf den umstrittenen Praxistest zu verzichten. Die Händler in der Friedrichstraße waren „jahrelang durch massive Baumaßnahmen und damit verbundenen Sperrungen massiv beeinträchtigt“, heißt es. „Durch die Corona-bedingten Schließungen und Einschränkungen kommen der Einzelhandel sowie die Hotellerie und Gastronomie in der Friedrichstraße fast komplett zum Erliegen“.
IHK-Chef Jörg Nolte sorgt sich, dass die Unternehmen die Umsatzausfälle in Folge der Corona-Pandemie nicht überstehen. „Die Sicherung der wirtschaftlichen Existenz muss jetzt Vorrang haben vor Verkehrsuntersuchungen, deren Auswirkungen auf den Handel völlig ungewiss sind“, sagt er. Weil der Branchenmix in der Friedrichstraße nicht auf Nahversorgung ausgelegt und deshalb fast alles geschlossen sei, ist die „exklusive Vorzeige-Shopping-Meile in Zeiten von Corona besonders anfällig“, sagt Nils Busch-Petersen vom Handelsverband Berlin-Brandenburg. „Es wird eine Zeit brauchen, bis die Straße nach Corona wieder aus dem Krisen-Modus findet. Da sollte man den Händlern nicht noch durch eingeschränkte Erreichbarkeit das Leben zusätzlich schwer machen“, so Busch-Petersen. Und auch Dehoga-Chef Thomas Lengfelder findet: „Eine rot-weiße Warnbake vor einer gesperrten Straße wäre sicher der falsche Willkommensgruß.“
Gesamtkonzept gefordert
Der Händler- und Gewerbeverein „Die Mitte“ hatte Sperrungen der Friedrichstraße immer kritisch gesehen und fordert ein Gesamtkonzept. „Statt die Friedrichstraße in der jetzigen Situation noch zusätzlich mit einer Verkehrsuntersuchung zu belasten, deren Rahmenbedingungen im Übrigen völlig unklar und unabgestimmt sind, wäre es sicher besser, die Zeit nach den Corona-Einschränkungen zu nutzen, um gemeinsam mit allen Akteuren eine Potenzialanalyse zu machen“, sagt „Die Mitte“-Chef Guido Herrmann. „Im Ergebnis hätten wir kooperativ entwickelte Ideen, die wir gemeinsam in Maßnahmen umsetzen beziehungsweise testen können. Aber bitte in dieser Reihenfolge“, so Herrmann.
Die Anrainer der Friedrichstraße fühlen sich von dem Vorstoß der Senatsverkehrsverwaltung vor den Kopf gestoßen. Gewerbevertreter hatten sich am 4. März auf Einladung von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, Verkehrssenatorin Regine Günther und Bürgermeister Stephan von Dassel (alle Grüne) im Friedrichstadtpalast getroffen, um über die Zukunft der Friedrichstraße zu beraten. Im Rahmen dieses Workshops sollten die Schwerpunkte für eine Potenzialanalyse erarbeitet werden, die eine „fundierte Grundlage für die zukünftige Ausrichtung der Friedrichstraße bilden soll“, wie es in der Einladung heißt. Doch während des laufenden Workshops veröffentlichte Günthers Verwaltung für alle Betroffenen völlig unverhofft die Presseinfo von der beabsichtigten sechsmonatigen Straßensperrung. „So kann man nicht miteinander umgehen, das torpediert den gesamten Prozess“, sagt Conrad Rausch, Sprecher des Vereins „Die Mitte“. Ohne irgendwelche Analysen, Daten und Fakten solle jetzt ein Verkehrsversuch starten, der für Rausch „ideologisch getrieben und ohne Vernunft“ ist. Er befürchtet, dass aus dem Test eine dauerhafte Sperrung wird. „Eine Fußgängerzone rettet die Friedrichstraße nicht“, sagt Conrad Rausch.
Senatsverwaltung hält an Plänen fest
Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz hält trotz der Proteste an ihrem Vorhaben fest, die Friedrichstraße ab Juni für Autos zu sperren. „Augenblicklich ist noch nicht absehbar, wie sich die Corona-Krise weiter entwickelt. Über einzelne Projekte wird im Lichte der weiteren Entwicklung entschieden“, sagt Günthers Sprecherin Dorothee Winden.
Wie berichtet, soll die Friedrichstraße von Anfang Juni bis Ende November ein halbes Jahr lang zwischen Leipziger Straße und Französischer Straße komplett autofrei sein. Südlich der Leipziger Straße soll der Bereich am Checkpoint Charlie zwischen Schützenstraße und Rudi-Dutschke-Straße zum verkehrsberuhigten Bereich werden. In einer zweiten Phase ab Anfang September soll die autofreie Zone dann ausgeweitet werden. Dann ist die Friedrichstraße für Kraftfahrzeuge auch südlich der Leipziger Straße bis zur Schützenstraße tabu. Bei dem sechsmonatigen Verkehrsversuch werden die Gehwege von jetzt vier Meter auf acht Meter je Straßenseite verbreitert werden. In der Straßenmitte sollen Fahrradfahrer eine insgesamt fünf Meter breite Fahrspur bekommen. Das Konzept für die autofreie Friedrichstraße wurde vom Verein Changing Cities entwickelt.
Die CDU kritisiert die Pläne scharf. „Wer dem Handel und den Anwohnern in der Friedrichstraße wirklich helfen will, stimmt sich mit ihnen ab. Ideologie hilft hier keinem, das unabgestimmte Pilotprojekt muss vom Tisch“, sagt Christian Gräff, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Es bleibt völlig unklar, wie durch eine Straßensperrung Kundenzahlen und Umsätze gesteigert werden sollen“, sagt der CDU-Abgeordnete Oliver Friederici. „Die Friedrichstraße ist nicht das Experimentierfeld einseitiger rot-rot-grüner Verkehrspolitik. Der erneute Versuch einer Sperrung verdeutlicht, welchen Stellenwert Bürgerbeteiligung bei Rot-Rot-Grün hat: Sie wird nur da akzeptiert, wenn zu erwartende Ergebnisse zum politischen Konzept passen.“
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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