Berlin wählt noch einmal
Verfassungsgerichtshof erklärt Wahlen vom 26. September 2021 für ungültig
Berlins Chaoswahlen zum Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) werden am 12. Februar wiederholt. Auch die Bundestagswahlen sollen wegen zahlreicher Pannen in 431 der rund 2300 Stimmbezirke wiederholt werden.
Falsche oder fehlende Stimmzettel, zu wenige Wahlurnen, stundenlanges Anstehen vor den Wahllokalen und daraus resultierende Stimmabgaben noch Stunden nach der offiziellen Schließungszeit 18 Uhr: Die Liste der Mängel ist lang. Am 26. September 2021 fanden die Wahlen zum Bundestag, Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen statt. Dazu mussten die Berliner zeitgleich über den Volksentscheid zur Enteignung großer Wohnungskonzerne abstimmen. Der Berlin-Marathon am selben Tag hat die Probleme noch verschärft.
Nach zahlreichen Einsprüchen, von den politischen Parteien nur von der AfD und von „Die Partei“, hat der Verfassungsgerichtshof nach Auswertung aller 2256 Protokolle aus den Wahllokalen und von rund hundert Schriftsätzen der insgesamt über 3000 Verfahrensbeteiligten die Wahlwiederholung angeordnet. „Verfassungsrechtliche Standards können nur durch die komplette Ungültigkeitserklärung der Berliner Wahlen gewährleistet werden“, teilte das Gericht mit. Gerichtspräsidentin Ludgera Selting sprach von einem „einmaligen Vorgang in der Geschichte der Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland“. Der Volksentscheid Enteignung muss nicht wiederholt werden. Der Verfassungsgerichtshof hat sich nur mit den Berlin-Wahlen befasst.
Weil das Gericht keine Neuwahlen, sondern eine Wahlwiederholung angeordnet hat, treten die Kandidaten vom 26. September wieder an. Das führt zu kuriosen Situationen, wie beim mittlerweile abgewählten Mitte-Bürgermeister Stephan von Dassel, der für die Grünen auf Platz eins stand, oder Ingrid Bertermann, die als Grünen-Politikerin in die BVV Mitte gewählt wurde und dann zu den Linken wechselte.
Mehr Geld, mehr Wahlhelfer
Der Wahlkampf für die Wiederholungswahlen für das Landesparlament und die zwölf BVV läuft bereits auf Hochtouren. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska von Giffey (SPD) verspricht beste Vorbereitungen und will keine Kosten scheuen, wie sie nach dem Urteil sagte. Mit 39 Millionen Euro stellt sie drei Mal so viel wie zu den Wahlen 2021 zur Verfügung. Der neue Landeswahlleiter Stephan Bröchler will mehr Wahlkabinen, Stimmzettel und Wahlhelfer. Mindestens 38 000 Wahlhelfer sollen jetzt geschult werden und statt bisher 60 Euro bei den Wiederholungswahlen im Februar 240 Euro Erfrischungsgeld bekommen. Für die Bürger bedeuten die Wahlen in drei Monaten erstmal weitere massive Einschränkungen. Mindestens fünf Bürgerämter machen komplett dicht, weil das Personal für die Wahlvorbereitungen gebraucht wird.
Umwelt- und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch von den Grünen will bei einer möglichen Neuauflage der Koalition mit SPD und Linken den Senat anführen und Regierende Bürgermeisterin werden. Im Tagesspiegel-Interview fordert sie eine „radikale Verwaltungsreform“. Fehlende klare Zuständigkeiten zwischen Senatsverwaltungen und Bezirken würden selbst bei so wichtigen Vorgängen wie einer Wahl zu organisierter Verantwortungslosigkeit führen, so Jarasch. Nur deshalb könne der damalige Innensenator Andreas Geisel (SPD) die Verantwortung von sich weisen. Der Verweis auf Geisels Weigerung, wegen der Pannenwahl zurückzutreten, ist eine Kampfansage an Franziska Giffey, die an ihrem SPD-Senator festhält.
Grüne liegen vorn
Die Grünen liegen nach aktuellen Umfragen vor CDU und SPD. Bei den Wahlen im September 2021 landeten sie nur ganz knapp auf Platz zwei hinter der SPD. CDU-Chef Kai Wegner macht sich ebenfalls Hoffnungen auf das Rote Rathaus. Ein grün-schwarzes Bündnis schließt Jarasch nicht aus; sie will aber unter ihrer Führung weiter mit SPD und Linken regieren. Auch eine Ampel wäre möglich.
FDP-Chef Sebastian Czaja will ebenfalls „das Doppel-Pingpong“ zwischen Bezirken und Senat abbauen und die „Kontrolle über unsere Verwaltungsstrukturen zurückgewinnen“, wie er im Interview mit der Morgenpost sagt. Dass es die Grünen nach sechs Jahren Regierungsbeteiligung ernst meinen mit einer Verwaltungsreform, nimmt Czaja der Spitzenkandidatin Jarasch nicht ab. „Wenn die Grünen so tun, als hätten sie mit den ganzen Problemen nichts zu tun gehabt, macht mich das echt ein bisschen fassungslos. Mit dieser verantwortungslosen Haltung sind sie eher Teil des Problems als Teil der Lösung“, sagt Czaja.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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