Angst vor zweitem „Holm“-Fall
Wegen alter Steuerschulden pfeift Linke-Chefin Stadtratkandidat Diedrich zurück

Sven Diedrich tritt erneut von seiner Kandidatur als Stadtrat zurück. | Foto: Die Linke
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  • Sven Diedrich tritt erneut von seiner Kandidatur als Stadtrat zurück.
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Sven Diedrich, Kandidat der Linken für die freiwerdende Stadtratstelle im Bezirksamt, hat am 10. November bereits zum zweiten Mal seine Kandidatur zurückgezogen. Diesmal wurde er allerdings vom Linke-Landesvorstand dazu aufgefordert. Die Partei befürchtet nach der Affäre um Andrej Holm eine weitere Schlammschlacht wegen einer umstrittenen Personalie.

Sven Diedrich, der bereits nach der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) 2016 als Spitzenkandidat der Linken für die Stadtratstelle im Bezirksamt gesetzt war und am Tag der konstituierenden BVV-Sitzung zurückzog, schmeißt auch im zweiten Anlauf hin. Wie berichtet, hatte sich Diedrich für den Job als Stadtrat für Jugend, Familie und Bürgerdienste beworben, weil Stadträtin Sandra Obermeyer (parteilos, für Die Linke) im Dezember zu Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) wechselt. Der Bezirksvorstand der Linken hatte Diedrich am 17. Oktober nominiert.

2016 nannte der 54-Jährige als Grund für seinen Rückzieher, dass er sich den Bereich Jugend nicht zutraue. Doch diesmal wollte er den Job. Der wiederholte Rückzieher wurde ihm von der Parteiführung „dringend empfohlen“, wie Diedrich auf der Linke-Hauptversammlung am 10. November erklärte. Was wie eine Posse und je nachdem zum Fremdschämen oder Totlachen wirkt, hat einen ernsthaften Hintergrund. Diedrichs Vergangenheit blockiert seine politische Zukunft.

Linke-Chefin Katina Schubert und Landesgeschäftsführer Sebastian Koch haben das BVV-Urgestein (seit 1995 im Bezirksparlament) am 9. November gebeten, nicht zu kandidieren. Nach den Querelen um Andrej Holm haben die Linken Angst vor einer neuen Personaldebatte und politischen Schlammschlacht. Denn auch Sven Diedrich hat keine weiße Weste. Er ist vorbestraft.

Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher hatte Holm im Dezember 2016 zum Staatssekretär gemacht, obwohl der seine frühere Tätigkeit als hauptamtlicher Stasimitarbeiter verschwiegen und dies bei seinem Job an der Humboldt-Uni in einem Personalfragebogen nicht angegeben hatte. Nach wochenlangen Medienberichten und der Ankündigung des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD), Holm wegen der Stasilüge zu entlassen, trat der als Staatssekretär zurück.

Sven Diedrich hat zwar keine Stasivergangenheit. Aber er hat ein Schuldenproblem. Sein Ausflug in die Selbstständigkeit vor 17 Jahren führte ins Disaster. In der Partei und Fraktion hat Diedrich daraus nie ein Geheimnis gemacht. Und auch bei Diedrichs erster Kandidatur 2016 für den Stadtratposten wussten alle, dass er wegen Steuerschulden und nicht gezahlter Sozialabgaben vorbestraft ist. Beamtenrechtlich wäre das kein Ausschlussgrund für den Stadtratjob, sagt Diedrich. Das sei schon damals alles juristisch geprüft worden. Nur politisch könnten Gegner die Geschichte ausnutzen. 2016, vor der Causa Holm, hatte Die Linke davor anscheinend keine Angst. Nach der Schlammschlacht wegen der Holm-Ernennung sieht das Linke-Chefin Katina Schubert jetzt anders. „Es ist nicht davon auszugehen, dass Grüne, SPD und CDU und auch die uns nach wie vor nicht besonders geneigte Presse unseren vernünftigen Argumenten für meine Nominierung folgen, sondern völlig unabhängig von den Umständen einzig die Vorstrafe in den Fokus der Debatte stellen werden“, sagte Diedrich auf der Versammlung am 10. November.

Warum Linke-Chefin Schubert erst jetzt – vier Wochen nach der Nominierung durch die Mitte-Linken – damit ankommt, nennt Diedrich „suboptimal gelaufen“. Ihn ärgert auch, dass die Parteiführung ihre Bedenken nicht früher geäußert hat. „Dann hätten wir uns diese blöde Situation erspart“, sagt Sven Diedrich. „Ich habe immer gesagt, ich mache das nur mit dem Rückhalt der Partei, und den hatte ich plötzlich nicht mehr“.

Seinen Ausflug in die Selbstständigkeit nennt er „meinen privaten Horror“. Sven Diedrich hatte 2011 das Restaurant „Luxemburg“ im Kino Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz übernommen. Der Idealist, der null Ahnung von Gastronomie hatte, wollte daraus einen linken Veranstaltungssalon machen. „Der Laden war schon bei der Übernahme überschuldet und mit Altlasten behaftet“, so Diedrich. Zudem wollten einige Mitarbeiter weiter schwarz arbeiten. Diedrich ließ sich auf das im Kneipengeschäft gängige Bezahlmodell ein. Als er 2015 einen Mitarbeiter „wegen Drogen- und Alkoholproblemen“, so Diedrich, rausschmiss, zeigte der den Chef an. Das Ergebnis von Diedrichs Gastro-Ausflug: ein sechsstelliger Schuldenberg, Verurteilung wegen Steuerhinterziehung, Insolvenz. Oder wie Sven Diedrich es sagt: „Frau weg, Geld weg, Kneipe weg“. Wegen seiner negativen Schufa hat der Politiker jahrelang bei einer älteren Dame zur Untermiete gewohnt für 800 Euro! Nach fünf Jahren hat Diedrich jetzt erstmals wieder eine eigene Wohnung gefunden.

Mit seinem erklärten Rückzug folge er „nicht dem politischen Diktat der Landesspitze, sondern dem wohlverstandenen, freundschaftlichen und solidarischen Rat“, so der Linke. „Ich bin überzeugt, dass ich fachlich und politisch gut geeignet bin. Ich verstehe aber auch die Bedenken“.

Für die vakante Stelle im Bezirksamt schickt Die Linke nun Ramona Reiser ins Rennen. Sie war die zweite Bewerberin um den Stadtratposten und stellt sich nach Diedrichs Rückzieher am 20. Dezember auf der BVV zur Wahl. Die 32-Jährige, die hauptberuflich in der Bundesgeschäftsstelle der Bahnhofsmissionen Deutschlands arbeitet, ist erst seit 2016 in der Linke-Fraktion der BVV.

Sven Diedrich tritt erneut von seiner Kandidatur als Stadtrat zurück. | Foto: Die Linke
Bereits 2016 wollte Sven Diedrich Stadtrat werden. Hier beim Wahlkampf im Gespräch mit dem Berliner Woche-Reporter. | Foto: Katharina Mayer
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Dirk Jericho aus Mitte

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