Halbverfallenes Varietétheater im Hinterhof entdeckt
Es hat ihn damals vor vier Jahren magisch auf den Hof gezogen, als er mit seiner Tochter in der Gartenstraße schwimmen gehen wollte, sagt Immobilienentwickler Dirk Moritz. Ein marodes Hinterhaus, mit zugemauerten Rundbögen und einer Stahltür in einem noch sichtbaren Portal. Der Hausmeister hat Moritz schließlich reingelassen; und seit der Unternehmer die geschnitzten Treppengeländer, die Wandmalereien und den Saal mit der Bühne und Empore entdeckt hat, wollte er das Haus haben. Nächtelang gegoogelt habe er, "Museen abgeklappert und 35 Kilo Bücher gelesen", sagt Moritz. Doch erst Lutz Mauersberger, Chef des privaten Berlin-Mitte-Archivs, konnte Licht in das geheimnisvolle Gebäude bringen. Der Historiker fand drei Postkarten mit Innenansichten, Fotos von außen gibt es keine.
Das 1905 von Baumeister Oscar Garbe erbaute dreistöckige Hinterhaus wurde zum "Zweck eines Restaurationsbetriebes mit Vereins- und Festsälen" errichtet, fand Mauersberger im Grundbuchauchiv heraus. Im selben Jahr wurde der mit Deckengewölbe und Bühne ausgestattete Theatersaal als Varieté und Wirtshaus unter dem Namen "Fritz Schmidts Restaurant und Festsäle" eröffnet. 30 Jahre lag "steppte hier der Bär", sagt Mauersberger. In den 1920-er Jahren stauten sich in dem Kiez die Bierwagen. Lokale und Vergnügungstempel wie das unweit der Gartenstraße gelegene "Clärchens Ballhaus" gab es viele damals. Ab 1919 erlebte das Gebäude neben der Schwimmhalle unter dem Namen "Kolibri-Festsäle und Kabarett" seine Glanzzeit im Cartier Latin, wie die Gegend in der Zeit der Goldenen Zwanziger von den Berlinern genannt wurde. 1934 verliert sich jede Spur, "das Haus fällt in einen seltsamen Dornröschenschlaf", so Mauersberger.
Zu DDR-Zeiten nutzt eine private Schlosserei die unteren Räume als Fabrik. Der Saal verfällt, Fenster werden zugemauert, Zwischendecken eingezogen. Auch die tschechischen Eigentümer, die das Haus nach der Wende zurückbekommen, wissen nichts von der bewegten Geschichte. Erst durch Dirk Moritz erfahren sie von dem verschollenen Schatz. Moritz hat das Haus inzwischen gekauft und will es als "Secret Garden" vermarkten. 30 Tonnen Müll hat er rausgeholt, die eingestürzte Saaldecke entfernt und die Wandmalereien freigelegt. Was aus dem Varieté wird, weiß er noch nicht. "Ein Mix aus Wohnen und Kultur" könne er sich vorstellen, "jedoch nicht das hundertste Galeriekonzept".
Künstler könnten hier zeitweise arbeiten und wohnen und im Theatersaal ausstellen, so eine Idee. Denkbar sei auch, das Haus als exklusive Bleibe zu sanieren - mit freistehender Badewanne im Saal oder auf der Bühne - und "für einen Liebhaberpreis" zu verkaufen, so Moritz.
Die Gartenstraße 6 ist als Baudenkmal eingetragen. "Mietshaus & Werkstatt" steht in der Denkmalliste, die nur auf das Vorderhaus mit rotem Klinker eingeht. Von der Varitetégeschichte wusste anscheinend niemand etwas. Im Festsaal des Hinterhauses kann man noch bis zum 10. Oktober eine Ausstellung des britischen Künstlers Mike Nelson besuchen. Danach schließen sich die Türen wieder.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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