Kunsthaus geräumt: Künstler gehen ohne Widerstand
Am 1. September hatten die Tachelesen zu einer letzten Demo gerufen, mit lauter Musik und Kunstaktionen auf der Straße. Zur Räumung am Dienstag vergangener Woche gab es keine lauten Proteste mehr. Der Gerichtsvollzieher hat von den Künstlern ohne Widerstand die Schlüssel bekommen, die Polizei musste nicht einschreiten.
"Das Flaggschiff der freien Kunst ist gefallen", sagte Martin Reiter vom Tacheles-Verein. Reiter ist seit 13 Jahren Chef des Kunstvereins und wehrt sich seit dem Auslaufen des Mietvertrages 2008 gegen den drohenden Rausschmiss. Seit einigen Wochen war das Tacheles bereits für Touristen baurechtlich aus Brandschutzgründen geschlossen, Strom und Wasser abgestellt.
Die letzten 40 Künstler sind in den vergangenen Tagen ausgezogen und haben ihre Sachen vor dem Räumungstermin in Sicherheit gebracht. Sie wollten nicht riskieren, dass die Sicherheitsleute, die seit über einem Jahr den gesperrten Hof bewachen, ihre Werke zerstören.
"Wir wollten auch keine Auseinandersetzung mit der Polizei", so Reiter zu dem friedlichen Rückzug. Schuld sei der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der das Ende des "selbstbestimmten Kunsthauses" politisch hätte verhindern können. "Doch Wowereit mag seine Stadt nicht, er bekämpft sie", tönte Reiter, der seit Monaten Wowereits Rücktritt fordert. "Die Kunst geht weiter", so Reiter. Er ist jetzt mit ein paar anderen Künstlern in den Cube-Club im Neuköllner Rollbergviertel gezogen.
Die Investoren werden das frühere Kaufhaus luxussanieren und die Etagen an Schickimicki-Galerien, Restaurants und Designerläden vermieten, glaubt Reiter. Die Landesbank HSH Nordbank als Gläubigerin will Ende des Jahres das 2,4 Hektar große Areal mit insgesamt 16 Grundstücken und der Kunsthaus-Ruine im Paket meistbietend versteigern. Ein Herauslösen des Tacheles aus der Konkursmasse hatte die Bank immer abgelehnt. Um das Haus und das Gelände vor der Versteigerung frei zu haben, hatte der Zwangsverwalter den Nutzern Abfindungszahlungen angeboten. Die Gastronomen rund um die geschlossene Zapata-Bar, die seit vielen Jahren mit dem Tacheles-Verein über Kreuz lagen, hatten letztes Jahr für eine Million Euro das Tacheles freiwillig verlassen. Jetzt ist das Tacheles komplett geschlossen. Räumungsklagen laufen nur noch gegen den Metallbaukünstler auf dem Hof.
Das fünfgeschossige Haus wurde 1909 als "Friedrichstraßenpassage" mit rund 100 Läden gebaut. 1928 übernahm die AEG den Passagenkomplex und nutzte ihn als "Haus der Technik" für Ausstellungen. Zu DDR-Zeiten verrottete das im Krieg stark beschädigte Gebäude weiter. Neben dem Filmtheater CAMERA oder der Artistenschule der DDR nutzte die Nationale Volksarmee den Tresorkeller. Anfang der 80er Jahre sollte das Haus abgerissen werden. Bis auf den heutigen Restflügel wurden weite Gebäudeteile weggesprengt. Künstler verhinderten 1990 den Komplettabriss, indem sie die Ruine besetzten. Die Kölner Fundus-Gruppe (Hotel Adlon, Kempinski Heiligendamm) hatte das Areal inklusive der Tacheles-Ruine 1998 vom Bund gekauft und von der landeseigenen HSH Nordbank (Hamburg und Schleswig-Holstein) einen Kredit über 75 Millionen Euro bekommen. Die Johannishof GmbH, eine Fundus-Tochter, wollte auf dem Gelände ein Johannishof genanntes Viertel mit Büro- und Geschäftshäusern, Eigentumswohnungen, Hotel, Läden und Restaurants bauen. Die Baugenehmigung für das 400-Millionen-Euro-Projekt liegt seit Jahren vor. Doch der bisherige Eigentümer Anno August Jagdfeld ist zahlungsunfähig, seit vier Jahren steht das Areal unter Zwangsverwaltung.
Das Grundstück soll meistbietend versteigert werden. Möglicher Käufer und potenzieller Investor soll Harm Müller-Spreer sein.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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