„Ich kehre zu meinen Wurzeln zurück“
Die Geschäftsführerin der Landesfreiwilligenagentur Carola Schaaf-Derichs übergibt den Staffelstab
Seit 1992 ist Carola Schaaf-Derichs Geschäftsführerin der Landesfreiwilligenagentur Berlin (LFA). Mit ihrem 1988 als „Treffpunkt Hilfsbereitschaft“ gegründeten Verein beeinflusste sie maßgeblich die Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements in der Stadt. Ende September geht sie nun in den Ruhestand. Redaktionsleiter Hendrik Stein sprach mit ihr.
Über drei Jahrzehnte haben Sie die Engagementszene in Berlin geprägt. Was hat sich für Sie seit den frühen 90er-Jahren am eindrücklichsten verändert?
Carola Schaaf-Derichs: Die Idee von dem, was wir tun, selbst. Die 90er-Jahre waren die prägenden Jahre für die Neuausrichtung des gesamten Sektors. Wir hatten damals die Idee vom Ehrenamt und beide Aspekte in diesem Begriff waren fragwürdig geworden. Wer hat die Ehre? Was ist ehrenvoll zu tun? Und in puncto Amt kann man sagen, dass die Verbindung mit staatlichen Institutionen schon damals nicht mehr ausgeprägt war. Wir hatten viele Menschen, die aus freien Stücken und mit viel Eigensinn tätig wurden. Deswegen war für uns diese Freiwilligkeit, also der freie Wille ausschlaggebend. Hinzukommt der Umbruch in der DDR 1989. Bereits ein Jahr später ist unser Verein in den Ostteil umgezogen – ganz bewusst mit der Botschaft: „Wir wollen für alle Menschen in dieser Stadt ansprechbar sein.“ Daher mussten wir uns auch mit DDR-geprägten Begriffen von Ehrenamtlichkeit auseinandersetzen. Die Freiwilligkeit war umso stärker von uns betont worden. Denn es geht um eine demokratische Gesellschaft, es geht darum, dass es jetzt für alle Berlinerinnen und Berliner möglich ist, aus freiem Willen und nicht aus Pflicht und Verpflichtung heraus tätig zu werden. Dieser Paradigmenwechsel schlug sich dann auch im Namen unseres Vereins nieder: Landesfreiwilligenagentur.
Auch diese hat sich seitdem stark gewandelt. Stand anfangs noch die Mittlerrolle zwischen Engagierten und Organisationen im Vordergrund, ist die LFA heute ein Kompetenzzentrum für Organisationen. Wie erklären Sie diesen Wandel?
Carola Schaaf-Derichs: Tatsächlich starteten wir zunächst mit einem großen Karteikasten, in dem verzeichnet war, welche Einrichtungen aktuell Freiwillige suchen. Durch den Kontakt zu den Organisationen und Vereinen stellten wir aber bald fest, dass es nicht reicht Adressen zu sammeln. Es musste unbedingt eine fachliche Brücke in die Organisationen hinein gebaut werden. Und so haben wir neben der Freiwilligenberatung mit der Organisationsberatung und -entwicklung begonnen. Es war für mich eine klare Sache, dass wir die Debatte über Qualitätskriterien und Rahmenbedingungen in die Organisationen tragen müssen. Das habe ich dann auch ab 1998 gemeinsam mit der Akademie für Ehrenamtlichkeit in eine Qualifizierung für Freiwilligenmanagement überführt. Damit waren wir bundesweit die ersten.
Die ursprüngliche Vermittlerrolle ist heute noch in der Berliner Freiwilligenbörse sichtbar, die die LFA seit 2008 organisiert und die jedes Jahr Tausende Berlinerinnen und Berliner anzieht. Worin liegt die Stärke dieses Formats?
Carola Schaaf-Derichs: Die Stadt hat so viele Möglichkeiten für Menschen, die sich engagieren wollen. Einmal im Jahr, ein zentraler Ort und über 100 Angebote – das ist die Botschaft, auf die sich viele einlassen. Denn es bedeutet, ich muss mich nicht gleich entscheiden, aber ich kann stöbern, suchen, reden, Eindrücke gewinnen. Das ist eine wichtige Vorbereitung, um sich dann für ein konkretes Engagement zu entscheiden. Die Freiheit der Entscheidung und die direkte Begegnung machen das Format so erfolgreich. Und es ist natürlich auch eine Fachmesse der Branche, auf der sich auch die ausstellenden Organisationen über Neues informieren und orientieren.
Wie steht es um die Zukunft der Freiwilligenbörse?
Carola Schaaf-Derichs: Die Freiwilligenbörse steht in der aktuellen Koalitionsvereinbarung. Das ist ein gutes Zeichen. Die Börse war auch Thema unserer ersten Gespräche mit dem neuen Staatssekretär für gesellschaftlichen Zusammenhalt, Oliver Friederici. Er war gleich in den ersten Tagen seines Amtes mehrere Stunden auf der Freiwilligenbörse und hat sich einen Eindruck verschafft von der Vielfalt und Bandbreite des Engagements, aber auch von den Menschen, die dort tätig sind. Diese direkten Begegnungen waren sehr wichtig, um den Wert der Börse zu erkennen.
Gemeinsam mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband haben Sie aktuell Handlungsempfehlungen für Politik und Verwaltung zusammengestellt – unter dem Motto „Freiwilliges Engagement in Berlin krisenfest stärken“. Viele Berliner Organisationen haben inzwischen dieses Empfehlungspapier unterschrieben. Was ist für Sie der wichtigste Punkt darin?
Carola Schaaf-Derichs: 190 Organisationen haben es bis heute unterschrieben. Die zentrale Empfehlung ist, dass sich das Freiwilligenmanagement noch stärker in den Organisationen entwickeln soll. Gerade wenn es um Krisenfestigkeit geht, braucht eine Gesellschaft die Brücke zwischen dem spontanen Engagement und den bestehenden Einrichtungen und Netzwerken. Also wer hilft mir eigentlich, wenn ich sage, jetzt muss ich was tun? Wer kann mir hier mit Rat und Tat zur Seite stehen? Dafür brauchen wir hauptamtliche Freiwilligenmanagerinnen und -manager. Sie müssen sichten, was zu tun ist, wer mit wem kooperiert, wer welche Fähigkeiten und Kenntnisse mitbringt. Aber auch solche grundlegenden Fragen wie Versicherungsschutz, rechtliche Absicherung und Rahmenbedingungen für den Einsatz sind hier wichtig. Die Hilfe steht natürlich weiter im Vordergrund, aber die Helfenden brauchen auch Ansprechpartner für ihre Sorgen, Probleme und Fragen. Das ist mit einem gut organisierten Freiwilligenmanagement abdeckbar.
Warum bedarf es eines solchen Empfehlungspapiers gerade jetzt?
Carola Schaaf-Derichs: Wir befinden uns mitten in den Verhandlungen für den neuen Landeshaushalt. Es ist allgemein bekannt, dass Berlin nach der Corona-Pandemie sparen muss, und Kürzungen sind schon in etlichen Bereichen angekündigt worden. Da ist jede Branche, glaube ich, und gerade unser Sektor gut beraten, noch einmal deutlich zu machen, was gebraucht wird. Wir brauchen diese zivilen Strukturen unserer Gesellschaft, diese Hilfsbereitschaft, dieses Sich-Einsetzen in Zeiten von Mangel und Not. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir weiterhin Strukturen anbieten müssen, die ja nicht extrem kostenintensiv, sondern eher aus der Nachhaltigkeitsperspektive zu sehen sind. Was wir heute in diese Strukturen reinstecken, werden wir morgen an Festigkeit, Zusammenhalt und Nicht-Diskriminierung zurückbekommen. Eine Gesellschaft unter Druck wird eher ihre harten Seiten zeigen und das sollten wir unter allen Umständen vermeiden.
Ein wichtiges Thema war für Sie immer auch die Anerkennungskultur. Wo steht hier Berlin heute?
Carola Schaaf-Derichs: An-er-kennen haben wir durchdekliniert: Man muss das Engagement kennen, man muss es erkennen, denn vieles läuft eher im Stillen und im Hintergrund ab, und man muss es anerkennen, also würdigen und wertschätzen. Da hat sich vieles verändert. Wir haben in Berlin Instrumente mit geschaffen wie den Berliner Freiwilligenpass, der stark auf die Förderung von Kompetenzen ausgerichtet ist, die Berliner Ehrenamtskarte, die den Zugang zu vielen Einrichtungen vergünstigt anbietet – als eine Art Gratifikation. Aber jenseits dieser mittlerweile etablierten Formen der Anerkennung ist es vor allem wichtig, immer wieder darüber zu reden. Da ist auch Presse ein wichtiger Punkt. Wie sieht Presse das Engagement heute? Wird es gewürdigt, wird es gesehen? Es gibt da viele Ansätze und Kooperationen, aber ich bin immer wieder überrascht, dass sich viele in den Organisationen von der Presse noch nicht so gesehen fühlen. Die mediale Präsenz ist etwas, worüber viel Anerkennung vermittelt werden kann. Daher ist es wichtig, dass wir vom sprichwörtlichen Händeschütteln zum wirklichen Sichtbarmachen kommen, um die Beziehung zur Öffentlichkeit zu stärken.
Engagement lebt vom Vor-Ort-Sein, von direktem Kontakt und Anpacken. Trotzdem legt die LFA immer mehr auch einen Schwerpunkt auf Digitalisierung. An welcher Stelle hilft diese den Vereinen und Organisationen bei der Arbeit?
Carola Schaaf-Derichs: In der Nach-Corona-Zeit haben viele Einrichtungen einen Teil ihrer digitalen Kontaktarbeit – sprich Videokonferenzen etc. – beibehalten, weil es für Freiwillige manchmal einfacher ist, statt lange Wege durch Berlin zu machen, via Video zusammenzukommen. Das heißt aber nicht, dass das Zusammenkommen in Präsenz weniger wichtiger geworden ist. Im Gegenteil. Und diese Mischung ist heute in die Organisationen eingezogen. Es gibt jetzt auch verstärkt Online-Engagement. Wir haben bei unseren Abfragen zur Freiwilligenbörse festgestellt, dass es neben dem Tätigwerden vor Ort viele digitale Möglichkeiten des Engagements gibt. Das ist besonders wichtig für Menschen, die physisch beeinträchtigt sind oder sich weit weg befinden. Ich denke da auch an weltweites Engagement. Letzteres kenne ich von einigen Migrationsgruppen, die international zusammenarbeiten. Da ist digitales Engagement intensiv im Einsatz.
Kann Digitalisierung die Vereinsarbeit nicht auch professionalisieren?
Carola Schaaf-Derichs: Auf alle Fälle. Die LFA hat selbst diverse Online-Seminare und praktische Anwendungen von digitalen Instrumenten veröffentlicht. Wir haben in den vergangenen drei Jahren, die wir unter Pandemiebedingungen arbeiten mussten, eine digitalisierte Kooperation mit unseren Netzwerken etabliert. Das hat vieles verändert. Es erleichtert den schnellen Austausch, es erweitert die Möglichkeiten der Kommunikation. Aber trotzdem bleibt das Zusammenarbeiten in Präsenz immer noch das Wichtigste.
Sie werden nun in den Ruhestand gehen. Wem übergeben Sie Ihren Staffelstab?
Carola Schaaf-Derichs: Ich freue mich, dass wir mit Paula Heinrich eine sehr kompetente und dynamische Nachfolgerin gefunden haben. Sie hatte vor vielen Jahren zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn intensiv mit Engagement zu tun, und zwar im Bereich von Kinderpatenschaften. Eine Beratung, die sie bei uns vor 15 Jahren für ihre Organisation bekam, ist bei ihr bis heute in guter Erinnerung geblieben. Sie hat aber auch viele andere Felder durchlaufen, war oft in führender und leitender Position und zuletzt als Geschäftsführerin bei der „Bundesarbeitsgemeinschaft Täterarbeit Häusliche Gewalt“, die sich vor allem mit den gewaltausübenden Menschen auseinandersetzt – mit dem Ziel, erneute Gewaltausübungen zu verhindern, um so geschädigte Personen zu schützen und häusliche Gewalt auch präventiv zu bekämpfen. Und das qualifiziert sie in besonderer Weise für ihre neue Tätigkeit als Geschäftsführerin der LFA, da sie neben der engagierten Seite unserer Gesellschaft auch die schwierige Seite kennt, jene Menschen, die Hilfe benötigen.
Werden Sie der Berliner Engagementszene auch zukünftig die Treue halten?
Carola Schaaf-Derichs: Na klar. Ich werde mindestens ein Bein in Berlin behalten. Ich möchte noch einige Projekte verfolgen wie zum Beispiel ein Citizen-Science-Projekt, für das wir kürzlich erst den Zuschlag bekommen haben. Das werde ich freiberuflich weiterführen für die LFA. Und insgesamt reizt es mich sehr, im Engagementsektor meine Erfahrungen, die ich in den vielen Jahren gesammelt habe, dort mit einbringen zu können, wo sie gebraucht werden. Das heißt, ich kehre gewissermaßen zu meinen eigenen Wurzeln als Organisationsberaterin zurück.
Gelebtes Engagement
Carola Schaaf-Derichs ist Diplom-Sozialpsychologin, Organisationsentwicklerin und Managementausbilderin. Als Geschäftsführerin der Landesfreiwilligenagentur Berlin initiiert und entwickelt sie Kampagnen mit bundesweiter Strahlkraft wie die Freiwilligentage, die Berliner Freiwilligenbörse und den Berliner Stiftungstag und ist als Ausbilderin für Freiwilligenmanagement, Freiwilligenagenturen und Diversitätsorientierung tätig. Ehrenamtlich hat sie die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen initiiert, engagiert sich als Sprecherrätin im Landesnetzwerk Bürgerengagement Berlin und war auch im Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement langjährig tätig. Zudem war Carola Schaaf-Derichs Mitglied im Nationalen Beirat des Startsocial-Wettbewerbes sowie in diversen Jurys, sie ist in Beiräten und an zahlreichen Publikationen beteiligt. Auch in der Wissenschaft macht sie sich mit Studien zur Kompetenzentwicklung im Bereich bürgerschaftliches Engagement, mit empirischen Feldanalysen zu Diversity und Instrumenten der Anerkennung einen Namen und arbeitet in zahlreichen Forschungsprojekten mit. Freiberuflich berät sie Unternehmen und Organisationen. 2008 wurde sie für ihr Engagement mit der Verdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.
Autor:Hendrik Stein aus Weißensee |
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