In Berlin fehlen für Kinder flexible Betreuungsangebote
Es ist ein Teufelskreis: Ohne eine gesicherte Kinderbetreuung stellt kaum ein Arbeitgeber eine Mutter ein. Doch alleinerziehend mit vier Kindern ist es für Anita Ruhe nicht immer einfach, die Betreuung zu organisieren. "Im Prinzip muss ich pokern", sagt die 45-Jährige. Zwei ihrer Kinder, die Zwillinge Christian und Niklas, sind erst knapp zwei Jahre alt und brauchen noch eine Rundum-Betreuung. "Natürlich habe ich meine beiden Großen und die Großeltern springen im Notfall ein. Eine dauerhafte Lösung ist das aber nicht", sagt die gelernte Europasekretärin, die gerne wieder mehr arbeiten würde als nur in einem Minijob in einem Veranstaltungsbüro.
Schwierig: Job und Familie unter einem Hut
Da sie viele Jahre Berufserfahrung hat, folgen auf ihre Bewerbungen meist Vorstellungsgespräche. "Aber wenn ich von meiner familiären Situation erzähle, bekommen immer andere den Job", erzählt sie, während sie die beiden Zweijährigen mit Bananen und Apfelsaft versorgt. Damit lassen sich die Jungs für kurze Zeit stoppen, bevor sie dann weiter laut kreischend und lachend durchs Wohnzimmer rennen. Christian und Niklas gehen zwar für ein paar Stunden am Tag in eine normale Kita. Aber wenn Anita Ruhe Job und Familie unter einen Hut bekommen möchte, ist sie auf weitere Unterstützung angewiesen. Sobald eines der Kinder krank ist, im Büro die Organisation eines Großevents ansteht oder sie einen Termin hat, zu dem die Zwillinge nicht mitkommen können, reicht die Standardbetreuung nicht aus. Da Babysitter-Dienste für sie zu teuer sind, versuchte sie es bei der Selbsthilfeinitiative Alleinerziehender SHIA, von der sie wusste, dass sie eine günstige, flexible Kinderbetreuung anbietet. Doch Fehlanzeige: das Angebot wurde eingestellt.
Nachfrage war riesig
"Die Nachfrage war riesig und beide Seiten haben profitiert", sagt Martina Krause, die Geschäftsführerin von SHIA. Entsprechend groß war die Enttäuschung als es nach vielen Jahren hieß, dass für das Projekt keine Gelder mehr zur Verfügung stehen. Das war Anfang 2012. Doch noch immer fragen viele Familien an.
Ein vergleichbares Angebot des Frauenzentrums Paula Panke, bei dem arbeitssuchende Berliner - finanziert vorrangig über die Jobcenter - stundenweise die Kinderbetreuung übernahmen, wurde ebenfalls eingestellt. Nach einem intensiven Kennenlernen waren diese regelmäßig für die Kinder dagewesen, holten sie von der Kita ab oder machten Frühstück, wenn die Eltern schon früh zur Arbeit mussten.
Grund für das Ende beider Projekte war, dass die Bundesagentur für Arbeit befand, dass auf dem ersten Arbeitsmarkt wieder mehr entsprechende Jobs zur Verfügung stehen.
Doch nach wie vor fehlt es an flexiblen Kinderbetreuungsangeboten. Aber die werden benötigt, denn der Arbeitsmarkt fordert genau diese Flexibilität vielfach von den Arbeitnehmern. Supermärkte, die bis 24 Uhr geöffnet haben, eine boomende Veranstaltungswirtschaft und viele Jobs in der Kommunikationsbranche machen Berlin dabei zu einem Brennpunkt. Um den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz zu erfüllen, den ab August auch Eltern von Kindern unter drei Jahren haben, wird der Kita-Ausbau kräftig vorangetrieben. Zusatzangebote flexibler Betreuung fehlen allerdings in der Planung.
"Die gesetzlichen Vorgaben würden es den Kitas erlauben, von 6 bis 21 Uhr zu öffnen, aber die meisten machen schon um 18 Uhr zu", sagt Kathleen Fischer, die sich bei SHIA um das Thema kümmert. Die Kitas aber einfach nur länger zu öffnen, ist nicht die Lösung, die sich viele Eltern wünschen. "Wir brauchen eine zusätzliche Betreuung zu Hause, bei der die Kinder einen normalen Rhythmus haben", erklärt sie. Es gehe darum, eine Vielzahl an Betreuungsangeboten zu schaffen, die zur Vielzahl der Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt passen. Zwar habe der Gesetzgeber die sogenannte ergänzende Tagespflege geschaffen. "Die Familien müssen sich aber trotzdem selbst eine Betreuungsperson suchen, auch wenn dann das Jugendamt die Bezahlung übernimmt", berichtet Kathleen Fischer. Oft würde dann auf ehrenamtliche Angebote verwiesen wie Großelterndienste oder Ähnliches. An dieser Stelle sei der Staat in der Pflicht, nachzubessern, sagt die Betreuungsexpertin.
Ohne eigenes Netzwerk
"Die wenigsten Eltern sind heute noch in eine funktionierende Großfamilie eingebunden und eigene Netzwerke fehlen", sagt Katja Brendel von der Organisation "wellcome" ( www.wellcome-online.de), die gemeinsam mit 200 Ehrenamtlichen Berliner Eltern im Familienalltag hilft. Immer wieder melden sich auch bei ihr Mütter, die auf mehr als eine normale Kita angewiesen wären. "Vielen Alleinerziehenden und Freiberuflerinnen muss ich erklären, dass wir keine Regelbetreuung ersetzen können und dass es in Berlin wenig flexible Angebote gibt."
Wie bei vielen anderen Familien ist deshalb auch bei Anita Ruhe Improvisieren angesagt. "Natürlich klappt es immer irgendwie", sagt sie beim Toben mit Christian und Niklas im Kinderzimmer zwischen Bauklötzen und Kuscheltieren. Dass gut laufende Projekte einfach eingestellt werden, findet sie trotzdem enttäuschend.
Umso enttäuschender ist auch die Bilanz, die frühere Betreuerinnen der ehemaligen Angebote inzwischen ziehen mussten. Viele von ihnen haben nach Projektende - entgegen den Erwartungen der Bundesagentur für Arbeit - keine neue Beschäftigung gefunden. Der Aufschwung am Arbeitsmarkt ist bei ihnen nicht angekommen.
Silberstreif am Horizont
Doch es gibt auch kleine Lichtblicke, denn in einem Bezirk rührt sich etwas. Das Bezirksamt Pankow möchte die guten Erfahrungen, die es bisher mit Angeboten der flexiblen Kinderbetreuung gab, nutzen, um ein neues Modellprojekt zu erproben. Die Bezirksverordnetenversammlung strebt eine Zusammenarbeit mit Wirtschaft, freien Trägern, Senats- und Bezirksverwaltungen sowie engagierten Politikern zu diesem Thema an. Mit dem Beginn des Modellprojekts kann allerdings erst im kommenden Jahr gerechnet werden.
Berliner Kitas sollten länger öffnen
Mehrheit der Umfrageteilnehmer ist dafür
Eine Mehrheit von 65 Prozent der Leser antwortete auf die Frage "Sollten Berliner Kitas von 6 bis 21 Uhr öffnen?" mit Ja. Die Anforderungen des Arbeitsmarkts heute erfordern jedoch zumeist weit mehr als nur längere Öffnungszeiten. Schichtarbeit und Arbeitszeiten bis spät in die Nacht sind für viele Alltag. Deshalb sieht es Heike Gerstenberger, Gleichstellungsbeauftragte des Bezirksamts Pankow auch kritisch, nur auf längere Öffnungszeiten zu setzen, um mehr Flexibilität in die Kinderbetreuung zu bekommen. "Für einzelne Eltern kann das eine Lösung sein. Bedarfsgerechte Kinderbetreuung erfordert allerdings eine Vielfalt an unterschiedlichen Bausteinen, von den die Verlängerung der Öffnungszeit nur einer sein kann." Wichtig sei immer, dass die Bedürfnisse der Kinder nicht außer acht gelassen werden.
Die Beschäftigtenzahlen in Berlin steigen, doch gleichzeitig fordert der Arbeitsmarkt immer mehr Flexibilität von den Arbeitnehmern - keine guten Ausgangsbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Die meisten neuen Arbeitsplätze entstanden 2012 nach Berechnungen des Arbeitskreises "Erwerbstätigenrechnung des Bundes und der Länder" im Dienstleistungssektor, der in Berlin rund 88 Prozent aller Arbeitsplätze auf sich vereint. Dahinter folgen Handel, die Informations- und Kommunikationsbranche sowie das Gesundheits- und Sozialwesen. Viele Berufe aus diesen Bereichen fordern von den Beschäftigen, am Wochenende, im Schichtdienst und in der Nacht zu arbeiten. So arbeiteten im Jahr 2011 rund 817 400 Berliner auch am Wochenende, 216 000 im Schichtdienst und 256 000 in der Nacht.
Autor:Jana Tashina Wörrle aus Charlottenburg |
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