Initiativen zeigen, wie nachhaltiger Konsum funktioniert
Schon seit Jahren gibt der Schredder von Elke Tetzlaff keinen Mucks mehr von sich. Doch wegwerfen wollte sie ihn auch nicht. Lange stand er im Büro der Immobilienmaklerin in der Ecke. Nun liegt er auf einem Tisch im Paul-Schneider-Haus in Spandau und wird von allen Seiten bestaunt und abgetastet. "Irgendwie muss man das Ding doch aufkriegen", murmelt ein Mann mit weißem Vollbart vor sich hin und greift zu Schraubenzieher und Meißel. Hauswart Andreas Matzanke kommt ihm mit weiterem Gerät zur Hilfe und gemeinsam brechen sie die fest verklebte Plastikhülle auf. Was dann zum Vorschein kommt, lässt beide grinsen. Matzanke steckt die lose heraushängenden Kabel zusammen und drückt auf den Einschaltknopf - der Minimotor läuft wieder und nun grinst auch Elke Tetzlaff. Das aufgebrochene Plastikgehäuse bekommt eine schmucke Umrahmung mit schwarzem Klebeband und schon ist der Schredder wieder einsatzbereit. "Die Dinger sind nicht dafür gemacht, dass man sie repariert", mischt sich Corinna Vosse ein. Sie ist die Geschäftsführerin der KlimaWerkstatt Spandau und Organisatorin des Repaircafés am Ort. "Die Hersteller wollen lieber, dass wir ständig Neues kaufen", kritisiert sie.
Gegenseitig helfen
Genau das wollen die Repaircafés ändern. In mehreren Bezirken finden sie mittlerweile regelmäßig statt. Neben der Fähigkeit, Dinge wieder funktionstüchtig zu machen, Geld zu sparen und die Umwelt zu schonen, geht es auch darum, dass sich die Menschen gegenseitig helfen. "Wir sind doch nicht nur Konsumenten", sagt Corinna Vosse. So müssen diejenigen, die mit ihren kaputten Gerätschaften kommen, auch nichts dafür bezahlen, wenn ein anderer beim Reparieren hilft. Wer will, kann dem Veranstalter jedoch ein paar Euro in eine Spendendose werfen. Auch Werkzeug wird noch gebraucht.
Ganz pragmatisch geht die Reinickendorferin Elke Tetzlaff das gegenseitige Helfen an. Sie hat Nadel und Faden mitgebracht. "Wenn hier jemandem ein Knopf fehlt oder sonst etwas an der Kleidung kaputt ist, kann ich das nähen", gibt sie in die Runde. So funktionieren die Repaircafés ganz nach dem Prinzip, dass sich jeder mit seinen Fähigkeiten einbringen kann und bei Dingen, die andere besser können, Hilfe bekommt.
Ähnlich bringen Tauschringe eine Mischung aus Nachbarschaftshilfe und politischem Statement stärker in die Öffentlichkeit. "Finanzkrise hin oder her. Mit unseren eigenen Fähigkeiten können wir das Wirtschaftsleben sinnvoll ergänzen", sagt Bernd Kollmohr. Der 70-Jährige ist seit 1997 Mitglied im Tauschring Charlottenburg-Wilmersdorf und erlebt immer wieder, wie einfach man viele alltägliche Dinge organisieren kann, ohne dafür in Euro zu bezahlen. Der Tauschring setzt auf eine eigene Währung. "Bei uns zählt die Zeit, die jemand anderen zur Verfügung stellt", sagt Kollmohr und lässt seinen Blick einmal quer über den Lietzensee schweifen. Oft sitzt er hier in einem Café und hört einfach nur zu. "Am liebsten tausche ich meine Zeit nämlich dafür ein, dass mir jemand alte Berliner Geschichten erzählt", erklärt der erfahrene Tauschaktivist.
Gut durchorganisiert
Was so unaufgeregt klingt, ist gleichzeitig gut durchorganisiert. Denn die Zeit, die die Tauschringteilnehmer in Anspruch nehmen - ob fürs Zuhören, Kinderbetreuung, Briefkastenleeren in der Urlaubszeit, für Nachhilfestunden oder frisch gebackenen Kuchen -, werden sie selbst wieder für andere aufwenden. Abgerechnet wird in Talern und so ist eine Stunde Tauschringeinsatz 20 Taler wert. Getauscht wird jedoch nicht eins zu eins mit dem, dem man hilft, sondern über den großen Pool aller Angebote der mittlerweile über 350 Teilnehmer. So hat jeder ein eigenes Talerkonto.
"Anders als der Euro ist unsere Währung aber immer gleich viel wert", sagt Kollmohr, der seine Taler nicht nur für schöne alte Geschichten einsetzt. Auch wenn er mal etwas nähen lassen will oder Texte in eine andere Sprache übersetzen lassen muss, nutzt er den Tauschring. Anderen bietet er dafür Rat, wenn es Probleme mit dem Computer gibt, er hilft bei der Gartenarbeit und repariert Fahrräder.
Gegen die Anonymität in der Großstadt
Neben der praktischen Arbeit hat der Tauschring seiner Ansicht nach vor allem einen sozialen Nutzen, da er anonym lebende Großstädter wieder stärker zusammenbringt. "Außerdem haben meistens alle gute Laune, weil ja keiner etwas macht, was er nicht mag", sagt Kollmohr und lacht.
Dass Tauschen und Teilen als ergänzende Wirtschaftsformen an Bedeutung gewinnen, hat auch die Wissenschaft erkannt. Karl Birkhölzer von der Forschungsgruppe "Lokale Ökonomie" beim Technologie-Netzwerk Berlin forscht zur sogenannten sozialen, solidarischen Ökonomie, zu der auch die Tauschringe gehören. "Die soziale Ökonomie übernimmt Aufgaben, die für den professionellen Markt kaum von Interesse sind, weil sie zu wenig Profit bringen", sagt Birkhölzer. Gleichzeitig seien sie aber unverzichtbar wie etwa eine gute Kinderbetreuung für alle sozialen Schichten oder, dass alte Menschen Hilfe im Alltag bekommen. "Das sind eigentlich Aufgaben des Staates, die nun von den Bürgern in die Hand genommen werden", erklärt der Wirtschaftsexperte.
Aus seiner Sicht geht es aber nicht darum, das Geld an sich abzuschaffen - ein Eindruck, der durch die Tauschringe entstehen könnte. Es gehe vielmehr darum, das Profitstreben einzudämmen. Geld sei ja in erster Linie schließlich auch ein Tauschmittel und nicht dazu da, dass man es anhäuft.
Nachhaltiger Konsum mal anders
Berliner tauschen und reparieren gern
Die große Mehrheit der Teilnehmer unserer Leserbefragung zur Reportage der vergangenen Woche "Manches geht auch ohne Geld" zeigt Interesse am alternativen Wirtschaften. Auf die Frage "Reparieren und Tauschen statt Kaufen: Hat das Zukunft?" antworteten die Leser der Reportage zu 88 Prozent mit Ja. Nur zwölf Prozent glauben nicht daran. Nach Ansicht von Maike Gossen vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) bestätigen sie damit einen alten und neuen Trend. "Die hohe Zustimmung bestätigt das wachsende Interesse an alternativen Konsumweisen in der Bevölkerung", sagt die Beauftragte für Nachhaltigkeit und fügt hinzu, dass das Reparieren und Tauschen gebrauchter Gegenstände an sich nichts Neues sei. Jedoch habe sich die Art und Weise, wie und wo Konsumenten dafür zusammenkommen, verändert.
"Digitale Tauschbörsen, Nähcafés oder über soziale Medien organisierte Kleidertauschpartys sind Beispiele für diese neuen Vernetzungsorte", sagt Maike Gossen. Neue Wege der Kommunikation und das Internet würden helfen, das Reparieren und Tauschen gebrauchter Gegenstände als Alternative zu konventionellen Konsumformen stärker zu etablieren, so die Expertin.
Die Idee für die Repaircafés stammt aus den Niederlanden. Das sind ehrenamtliche Treffen, bei denen die Teilnehmer sich dabei helfen, Dinge zu reparieren. In Berlin gibt es mehrere Treffen, wie etwa jeden ersten Sonntag im Monat von 14 bis 18 Uhr in der Fehrbelliner Straße 92 in Prenzlauer Berg, jeden ersten Montag im Monat von 16 bis 20 Uhr in der Alexandrinenstraße 4 in Kreuzberg und jeden letzten Montag im Monat von 17.30 bis 20 Uhr in der Schönwalder Straße 23 in Spandau. Weitere Termine und Infos unter repaircafe.de. Auch Tauschringe sind Initiativen, bei denen es ums Helfen geht. Dabei tauschen die Teilnehmer vorrangig Dienstleistungen, manchmal auch Waren aus. Oft organisieren sie sich über Internetportale, in denen sie ihre Angebote einstellen. Zusätzlich gibt es Tauschringzeitungen und Treffen, meist von Nachbarschaftsinitiativen oder anderen ehrenamtliche Vereinigungen. Bezahlt wird statt mit Euro mit eigenen Währungen. Jeder hat ein Konto, auf dem die Zeit gutgeschrieben wird, in der er sein Talent für andere eingesetzt hat. Diese Zeit kann er in Anspruch nehmen, wenn er selbst Hilfe braucht. Meist müssen die Teilnehmer einen kleinen jährlichen Mitgliedsbeitrag bezahlen. Adressen der Tauschringe in Berlin finden Sie unter www.tauschringe.de.
Autor:Jana Tashina Wörrle aus Charlottenburg |
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