Wenn Helfer Hilfe brauchen
Kirchen starten Seelsorgetelefon für ehrenamtlich Engagierte und Gastfamilien von Geflüchteten

Uwe Müller, Chef der Kirchlichen Telefonseelsorge (links) und Matthias Oliver Schneider vom neuen Hilfe-Hilfe-Telefon. | Foto: Cathrin Clift
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  • Uwe Müller, Chef der Kirchlichen Telefonseelsorge (links) und Matthias Oliver Schneider vom neuen Hilfe-Hilfe-Telefon.
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Die Hilfsbereitschaft der Berliner für die Tausenden Ukraine-Flüchtlinge ist enorm. Viele engagieren sich ehrenamtlich in Initiativen, sammeln und verteilen Spenden oder nehmen Flüchtlinge bei sich zu Hause auf. Die christlichen Kirchen, das Erzbistum Berlin und die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), haben jetzt mit ihren Verbänden Caritas und Diakonie die Hilfe-Hilfe-Hotline gestartet.

Zu helfen, für jemanden da zu sein, sich voll und ganz einzubringen kann glücklich machen. Weil aus der Ukraine derzeit vor allem Frauen mit Kindern am Hauptbahnhof ankommen, ist die Hilfsbereitschaft besonders groß. „Das kann man alles ein paar Tage machen, aber irgendwann sind die Leute überfordert und erschöpft“, sagt Uwe Müller. Er ist Chef der Kirchlichen Telefonseelsorge Berlin und Brandenburg, die seit 30 Jahren mehrere Seelsorgetelefone wie zum Beispiel für Kinder und Jugendliche, Eltern, Muslime oder in Sachen Corona betreibt. Müller weiß aus eigener Erfahrung, „dass Menschen, die anderen helfen, irgendwann selbst Hilfe brauchen“, um die Sorgen der anderen zu verdauen.

Doch im Gegensatz zu den rund 150 ausgebildeten ehrenamtlichen Seelsorgern an den Telefonen haben die vielen Helfer, die jetzt überall einspringen und auch Tausende Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnehmen, keine professionelle Supervision. „Augen zu und durch“ sei oft das Motto, sagt Müller. Ihm war schnell klar, dass diese Engagierten dringend ein Seelsorgeangebot brauchen. Seit Mitte April kümmert sich deshalb ein Team von etwa 20 Seelsorgern unter der Hilfe-Hilfe-Hotline ¿403 66 58 88 um die Probleme, Ängste und Zweifel der Helfer – vorerst zwischen 18 und 22 Uhr. Weil der Bedarf aber weiter ansteigt, soll Hilfe-Hilfe demnächst erweitert werden. Zurzeit gibt es im Schnitt zehn Anrufer pro Tag.

Wenn das Leid der anderen zur Last wird

Es sind vor allem Menschen, die Flüchtlinge bei sich zu Hause aufgenommen haben, die bei der Hotline anrufen. Was die ersten Tage noch gut funktioniert, kann nach ein paar Wochen seelischen Stress auslösen. Wenn das Leid der anderen zur Last werde, „ist irgendwann der Pegelstand erreicht“, sagt Matthias Oliver Schneider. Der Leiter der neuen Hilfe-Hilfe-Hotline weiß, dass die Realität schnell extrem anstrengend wird – die oft brutalen Geschichten und Erlebnisse aus dem Krieg, von denen die Frauen erzählen, genauso wie die Umstände, die solche besonderen Wohngemeinschaften mit sich bringen. „Das Gehörte und die Sorgen können die Helfer in unser Ohr geben“, so Schneider. Es sei sehr wichtig, seine Sorgen wieder loszuwerden und bei aller Hilfsbereitschaft auf sich selbst aufzupassen.

Manche Gastfamilien können nicht loslassen, andere plagen sich mit Schuldgefühlen, weil sie nach ein paar Wochen den Besuch wieder loswerden wollen. Ein Ehepaar habe eine junge Frau mit zwei Kindern aufgenommen und sei traurig gewesen, als die einen Kellnerjob annahm und in eine eigene Wohnung zog, nennt Schneider ein Beispiel. „Die haben sich Sorgen gemacht um die Zukunft der Frau. Die Menschen wachsen einem ja auch ans Herz“, so der Projektleiter. Die Seelsorger hören zu und haben in diesem Fall versucht, die Angst vor dem Abschied zu nehmen. In vielen Fällen geben die Seelsorger auch praktischen Rat und konkrete Tipps, wo es passende Hilfe gibt.

Traumatische Erlebnisse und Sprachbarrieren

Einer Frau, die sich an die Hilfe-Hilfe-Hotline gewandt hat, haben die Seelsorger geraten, das Jugendamt einzuschalten. „Sie hatte eine Mutter mit zwei kleinen Kindern bei sich zu Hause aufgenommen. Aber die Ukrainerin war nachts immer weg und die Gastgeberin mit den Kindern, die kein Deutsch konnten, völlig überfordert“, sagt Matthias O. Schneider. Die Probleme sind sehr vielschichtig. Zu den oft traumatischen Erfahrungen der Flüchtlinge kommen die Sprachbarrieren. Irgendwann brauchen auch die stärksten Helfer Hilfe. „Wir helfen, damit die Engagierten wieder Kraft haben für sich und für andere“, sagt Uwe Müller.

Wer das Telefonseelsorgeteam unterstützen möchte, kann sich bei Uwe Müller per E-Mail an sekretariat.berlin@ktsbb.de melden. Weitere Informationen gibt es auch im Internet unter ukraine.ekbo.de.

Autor:

Dirk Jericho aus Mitte

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