Coming-out ist positiv für den Berliner Fußball
Wie war Ihre erste Reaktion?
Jörg Steinert: Zunächst war ich einfach erfreut, weil wir seit Jahren auf so ein selbstbestimmtes Coming-out gewartet haben. Es ist insbesondere für junge Sportler, die sich noch nicht geoutet haben, ein ermutigendes Zeichen, dass ein prominenter Fußballer zu seiner Identität steht und kein Versteckspiel spielen muss.
Wie wichtig ist es, dass sich nun auch ein prominter Fußballer geoutet hat?
Jörg Steinert: Fußball ist in Deutschland wie auch in Berlin die Sportart Nummer eins. Millionen Menschen interessieren sich dafür, um nicht zu sagen: Sie lieben diesen Sport. Auch deshalb ist das Medieninteresse groß. Die Journalisten stellen interessante und kluge Fragen nach Leidensdruck, Diskriminierung und Versteckspiel. Das ist zu begrüßen, weil die öffentliche Diskussion auf die Sportler und die Fankultur eine gute Wirkung haben wird.
Der Kicker, das Fußball-Fachblatt, verweigert sich dieser Berichterstattung, weil es "viel Interessanteres und Wichtigeres zu berichten" gäbe. Verstehen Sie diese Haltung?
Jörg Steinert: Meines Erachtens blendet so eine Haltung die Realitäten aus. Natürlich sind wir im LSVD auch der Meinung, dass die sexuelle Orientierung eines Sportlers nicht entscheidend sein sollte. Aber solange es in Fankurven homophobe Banner und Sprechgesänge gibt, muss auch über so ein Coming-out berichtet werden, weil es hoffentlich dabei hilft, dass Homosexualität auch im Sport bald kein Tabuthema mehr sein wird.
Auch deshalb kooperieren Sie seit mittlerweile drei Jahren mit dem Berliner Fußballverband (BFV)?
Jörg Steinert: Das ist richtig. Wir haben zum Beispiel den Leitfaden "Rote Karte für Homophobie" für Vereine gemeinsam herausgegeben. Darin vermitteln wir Ansprechpartner und geben Handlungsempfehlungen. Über das "Anonyme Postfach" können homosexuelle Fußballer Kontakt zu uns aufzunehmen.
Wie oft wird davon Gebrauch gemacht?
Jörg Steinert: Es sind im Jahr rund 20 Personen, die sich über dieses Postfach zum Thema Homosexualität an uns und den BFV wenden. Darüber hinaus gibt es mittlerweile auch zwölf Vereine, mit denen wir sehr eng zusammenarbeiten. Bei über 400 Vereinen, die dem BFV angeschlossen sind, ist das zwar immer noch ein Bruchteil. Aber wir sind zuversichtlich, dass es - auch dank der aktuellen Ereignisse - bald mehr sein werden.
Im Hinblick auf die Olympischen Spiele im russischen Sotschi und den dortigen Umgang mit Homosexualität hört und liest man immer wieder, dass man Sport nicht mit gesellschaftlichen oder politischen Themen überfrachten dürfe. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Jörg Steinert: Das sehe ich anders. Die Olympischen Spiele sollten auch genutzt werden, um Menschenrechtsfragen zu thematisieren. Das kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Die USA machen es vor, indem sie mit Billie Jean King, eine lesbische Ex-Tennisspielerin, als ihre Botschafterin nach Russland schicken. Vielleicht überlegt sich der Deutsche Olympische Sportbund, Thomas Hitzlsperger als seinen Vertreter zu entsenden. Das wäre das richtige Zeichen.
Wenn das Coming-out Hitzlspergers tatsächlich einen Stein ins Rollen gebracht hat, was sollte dann am Ende dieser Entwicklung stehen?
Jörg Steinert: Es muss zu einer Selbstverständlichkeit werden und darf nicht die Ausnahme sein, dass in jedem Verein, ob in der Kreis- oder in der Bundesliga, homosexuellen Fußballern offen und respektvoll begegnet wird. Aber bis dahin haben wir noch einen langen Weg vor uns.
Autor:Michael Nittel aus Reinickendorf |
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