Das große Krabbeln
Die begrünten Mittelstreifen großer Verkehrsadern sind artenreiche Biotope
Insektenforscher Frank Koch vom Museum für Naturkunde untersucht seit dem Jahre 2017 die Artenvielfalt auf den Mittelstreifen großer Hauptstraßen. Sein Fazit lautet: Die Grünstreifen sind ideale Lebensräume für Insekten und Pflanzen.
36 Jahre lang war Frank Koch im Naturkundemuseum Kurator für Hautflügler. Und bis heute kann der 72-Jährige nicht von den Bienen, Wespen und Ameisen lassen. Für das Museum untersucht Koch seit sechs Jahren im Rahmen des Projektes „Stadtgrün“ die Insektenvielfalt auf den Grünstreifen in der Frankfurter Allee in Friedrichshain-Kreuzberg, am Adlergestell in Treptow-Köpenick und in der Heerstraße in Charlottenburg-Wilmersdorf. Sein Ergebnis: Die Wiesen zwischen den Fahrbahnen sind wunderbare Biotope. Schmetterlinge fliegen die Mittelstreifen entlang, an den Straßenrändern gibt es das große Krabbeln, Summen und Schwirren.
Über 400 Insektenarten hatte Koch schon in seinem Kescher. Sogar die seit über 90 Jahren verschollen geglaubte Heuschreckensandwespe ging ihm 2019 ins Netz. 2021 hat der Insektenjäger sogar die Bienenart Hylaeus intermedius erstmals für Deutschland dokumentiert. Die schwarze Maskenbiene hat Koch in der Heerstraße gefunden. Ein Grund für die Artenvielfalt auf den Magistralen sei der sogenannte Isolationseffekt, erklärt Koch. Fußgänger laufen selten über die Mittelstreifen und Hunde machen dort kaum hin. Dass links und rechts der Verkehr rauscht, ist den Wanzen, Bienen und anderen Insekten anscheinend egal.
Am wichtigsten für die Artenvielfalt ist aber, dass die Blühstreifen nicht ständig gemäht werden. Der größte Feind für die Krabbeltiere sind Sensen und Rasenmäher. Frank Koch appelliert an Grünflächenämter, aber auch an jeden privaten Gärtner zu Hause: „Grünflächen nicht in der Blühzeit mähen, wenn möglich nur einmal im Jahr im Oktober“, sagt er. Um die urbanen Lebensräume zu erhalten, haben sich die Grünflächenämter von Charlottenburg-Wilmersdorf, Friedrichshain-Kreuzberg und Treptow-Köpenick verpflichtet, nur einmal im Jahr zu mähen. Seitdem das so ist, kommen pro Jahr 50 bis 70 Arten dazu. Je ungepflegter ein Grünstreifen aussieht, desto wohler fühlen sich Insekten und Pflanzen.
Kochs Insektensuche zwischen den Blechlawinen hatte ursprünglich einen anderen Grund. Wissenschaftler vom Institut für Agrar- und Gartenbau der Humboldt-Universität wollten Pflanzenarten testen, die den Großstadtstress durch Abgase, Streusalzlösungen im Winter sowie Hitze und Trockenheit im Sommer am besten aushalten. Der Entomologe Dr. Frank Koch vom Naturkundemuseum sollte dokumentieren, wie sich widerstandsfähige Blütenpflanzen wie Strand-Grasnelke, Ochsenzunge, Zypressen-Wolfsmilch, Natternkopf und Johanniskraut auf das Fluggeschehen auf den Graspisten auswirken. Bestens, wie Koch feststellte.
Er wird weiter mit seinem Kescher in den Mittelstreifen-Habitaten unterwegs sein. Das Projekt „Stadtgrün“ läuft erstmal weitere drei Jahre. Als Minjobber darf Frank Koch weiter als Mitarbeiter im Naturkundemuseum forschen. Der Rentner ist in der Woche fast jeden Tag in seinem Büro und streckt an den drei Standorten Frankfurter Allee, Adlergestell und Heerstraße von Frühjahr bis Herbst alle zwei Wochen die Fühler nach den Gliederfüßern aus.
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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