Die Flucht vor der Krise führt viele Griechen nach Berlin
Wenn Magdalena Barba das Wort Krise hört, denkt sie nicht an den Euro, nicht an Rettungsschirme oder Steuerflüchtlinge. Sie denkt an die Menschen in ihrer Heimatstadt Naoussa und erzählt Geschichten von Freunden, die ihre Jobs verloren haben, von Bekannten, die ohne Strom und Heizung auskommen müssen, und von Kindern ohne Zukunft. "Griechenland geht es schlecht. Aber noch schlimmer ist, dass keiner weiß, was noch kommt", sagt die 50-Jährige und schaut mit gerunzelter Stirn aus dem Fenster der Taverna Karagiosis in Charlottenburg. Draußen stürmt es, Äste und Blätter wirbeln durch die Luft. Doch drinnen ist die Stimmung gelöst. Gitarrenmusik, frische Tulpen auf dem Tisch und der Geruch nach geschmortem Fisch tragen dazu bei, dass hier keine Krisenstimmung herrscht. Der Rest kommt von Magdalena Barba selbst und ihrer ansteckend guten Laune.
Plötzlich "die Griechin"
Schon seit 33 Jahren lebt sie in Berlin, seit acht Jahren arbeitet sie in der Taverna in Charlottenburg. "Berlin ist jetzt meine Heimat", sagt sie und nickt einem Gast zu, der gerade genüsslich einen Espresso schlürft. Bei der Arbeit ist sie für alle nur "Magdalena", für den Chef Sohrab Abbasaliyan wie für viele Gäste. Doch als die schwierige Zeit in Griechenland begann, war auch das plötzlich ein Problem. "Da war ich für viele von einem Tag auf den anderen die Griechin, und sie haben ganz mitleidig getan", erzählt sie und schüttelt den Kopf. Einmal kam sogar ein Mann an die Theke und hat ihr vorgerechnet, was jeder einzelne Deutsche für die Rettung Griechenlands bezahlen müsse.
Anders als diejenigen, die nun wegen der Wirtschaftskrise aus Griechenland weggehen, kam Magdalena Barba damals ohne finanziellen Druck und ohne Zukunftsängste nach Berlin. Sie hatte Verwandte hier und fand schnell einen Job. Doch seit den 80er-Jahren hat sich Berlin stark verändert. Trotzdem erhoffen sich viele junge Menschen aus den Ländern, die von der Eurokrise stark betroffen sind, hier eine bessere Zukunft.
Dass Berlin als Stadt mit eigenen wirtschaftlichen Problemen diesem Wunsch nicht immer gerecht werden kann, weiß Maria Oikonomidou. Sie kam erst im September 2011 aus Griechenland in die deutsche Hauptstadt und versucht seitdem eine Vollzeitstelle in ihrem Beruf als Museologin zu bekommen. Momentan arbeitet sie in Teilzeit in der Hellenischen Gemeinde in Steglitz und verdient dort 1000 Euro brutto.
Flucht vor der Krise
"Damit ich finanziell über die Runden komme, jobbe ich am Wochenende hin und wieder in einer Kneipe", sagt die 29-Jährige, die sowohl einen Master in Museumswissenschaften als auch in Soziologie hat. Weil sie in Griechenland nur ehrenamtliche Arbeitsstellen bekam, entschloss sie sich, zu Freunden ihrer Eltern nach Berlin zu gehen und, wie so viele andere gut Ausgebildete, ihr Heimatland zu verlassen.
"Dass die Krisenflüchtlinge nur nach Deutschland kommen, um hier staatliche Gelder zu beantragen, ist ein Vorurteil", sagt Oikonomidou. Ihre Erfahrungen und die Arbeit im griechischen Kulturzentrum haben ihr gezeigt, dass die meisten auf der Suche nach besseren Zukunftschancen sind, als sie Griechenland, Spanien oder andere Länder momentan bieten können. "Wer hier keine Arbeit findet, zieht weiter", sagt Oikonomidou, die nach so kurzer Zeit in Berlin schon fast akzentfrei Deutsch spricht. Vielen Neuankömmlingen steht sie so als Beraterin für die erste Zeit zur Seite.
Wie schwierig die Jobsuche für viele ist, hat auch Magdalena Barba in den vergangenen Monaten sehr deutlich erlebt. "Jeden Tag haben hier mindestens fünf Griechen nach einem Job gefragt", sagt sie, während sie sich die Schürze umbindet und einen großen schwarzen Ledergeldbeutel an den Gürtel schnallt.
Viel falsch gemacht
Dann schaltet sie den CD-Player an und neue griechische Tanzmusik erklingt. Das Thema hinterlässt aber auch Traurigkeit im Raum. Traurigkeit über das schlechte Image, mit dem Griechenland nun kämpfen muss. Die Regierung habe in der Vergangenheit viel falsch gemacht, aber dafür könnten doch die ganz normalen Leute nichts, sagt die 50-Jährige. Im Gegenteil: "Die Sparpolitik trifft die Leute hart."
Unterstützt wird das "Krisenimage" auch immer wieder durch Berichte über griechische und italienische Investoren, die nach Deutschland kommen und in Berlin Wohnungen und Häuser kaufen, weil sie ihr Geld nicht mehr im eigenen Land anlegen wollen. So hat der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen zwar in letzter Zeit deutlich mehr Anfragen von möglichen Investoren aus südeuropäischen Ländern bekommen. Doch Berlin ist im Moment bei allen gefragt, bei Südeuropäern genauso wie bei Skandinaviern und Engländern. "Wer hier eine Immobilie kauft, hofft auf schnelle und vor allem große Renditen", sagt David Eberhart, der Sprecher des Verbands. Berlin sei immer noch günstiger als München, Hamburg oder Großstädte im Ausland. Doch Eberhart warnt die Investoren auch: "In Berlin sind die Einkommen niedriger und dementsprechend begrenzt sind auch die Mietsteigerungen und Renditen."
Berlin ist gefragt, aber knapp bei Kasse und die Arbeitslosenquote trotz Aufschwung mit 12,4 Prozent (Bundesdurchschnitt: 7,4 Prozent) hoch. Deshalb ist es auch für Migranten aus den EU-Staaten nicht einfach, einen Job zu finden, der ihren Qualifikationen entspricht. Maria Oikonomidou würde gerne bleiben und als Wissenschaftlerin arbeiten. Doch die passende Vollzeitstelle sucht sie bisher vergeblich.
Unterstützung statt Mitleid
Entwicklung in Griechenland skeptisch gesehen
Die Mehrheit der Leser hat kein Mitleid mit den Menschen in Griechenland. "Wenn Superreiche kaum Steuern zahlen, wenn griechische Immobilienfirmen in Berlin beteiligt sind, die Preise auf dem Wohnungsmarkt in die Höhe zu treiben, dann kommt die Frage nach Mitleid oft schlecht an", beurteilt Monika Lüke, Senatsbeauftragte für Integration und Migration, das Ergebnis der Leserumfrage. Denn auf die Frage "Haben Sie Mitleid mit den Menschen in Griechenland?" antworteten 35 Prozent der Teilnehmer mit Ja, 65 Prozent verneinten. Statt Mitleid brauchen die Menschen in den Krisenländern nach Ansicht von Monika Lüke jetzt die Unterstützung aller europäischen Staaten, um ein gerechtes Steuer- und Sozialwesen aufzubauen. Dass dann wieder eine langfristige Stabilisierung erreicht werden kann, erklärt sie am Beispiel Deutschlands. Eine ähnliche Situation bestand schon einmal mit umgekehrten Vorzeichen: "1953 unterzeichnete auch Griechenland das Londoner Schuldenabkommen, in dem Deutschlands Schulden fast halbiert wurden", erklärt die Integrationsbeauftragte.
Damals sei es den Menschen in den noch vom Krieg gezeichneten Ländern sicher schwer gefallen, Mitleid ausgerechnet mit dem Verursacher zu haben.
Die Zahl der Menschen, die aus sogenannten Euro-Krisenstaaten nach Deutschland ziehen, hat deutlich zugenommen. Das macht sich auch in Berlin bemerkbar. Zwar kommen die meisten Neuzuwanderer nach Berlin noch immer aus dem Osten Europas, aber auch immer mehr Spanier, Italiener und Griechen fliehen vor der wirtschaftlich schlechten Lage in ihren Heimatländern. Belegten Polen, Bulgarien und Rumänien 2011 noch die ersten drei Plätze bei den Zuzügen, so rückte Spanien im Zeitraum von Januar bis September vergangenen Jahres (Gesamtzahlen für 2012 werden erst Mitte 2013 veröffentlicht) schon vor Rumänien auf Platz drei. Italien belegt beides Mal Platz vier.
Die Gesamtzahl der griechischen Zuwanderer in Berlin bleibt dabei im Vergleich zu den anderen Ländern zwar geringer, in der Statistik erreichen sie Platz 11 im Jahr 2011 und Platz 12 in dem angegebenen Zeitraum 2012. Doch verglichen mit den Vorjahren gibt es hier einen besonders großen Zuwachs: Allein zwischen Januar und September 2012 zogen 1235 Griechen nach Berlin. Im gesamten Jahr 2011 waren es 1574 griechische Zuwanderer, 2009 nur 727.
Autor:Jana Tashina Wörrle aus Charlottenburg |
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