Eine Lücke für Erinnerungen: Weddinger Künstlerpaar inszeniert Alltagsgegenstände in Berlins kleinstem Laden
Mitte."Lückeladen" steht am Schaufenster des Minigeschäfts neben dem Eingang zum Nordbahnhof. Hier gibt es skurrile Dinge. Der Künstler Norbert Stück kann zu jedem Unikat eine Geschichte erzählen.
Ist das ein Museum? Oder eine Galerie? Vielleicht ein Trödelladen, in dem es DDR-Eierbecher oder originale Zigarrenbanderolen gibt?
Irgendwie stimmt alles, und Künstler Norbert Stück, der hier kuriose Fundstücke verkauft, die er überall einsammelt und mit seiner Frau im Weddinger Atelier künstlerisch inszeniert, hat viele Begriffe für sein einzigartiges Ladengeschäft: Objektsalon für überzeitliche Dinge, musealer Kiosk oder Wunderkammer der Entdeckungen.
Das Künstlerpaar hat lange nach einer Lücke gesucht, um „authentische Kulturobjekte bewusst zu arrangieren“, wie Stück sagt. Das jahrzehntelang verhangene Schaufenster im Portal zur Nordbahn hat er durch Zufall entdeckt und 2015 von der Deutschen Bahn gemietet. Und damit eine historische Lücke geschlossen. Daher der Name Lückeladen für Berlins kleinsten Kunstshop. Oder Alltagsmuseum? Verkaufsgalerie? Zeitreise-Station?
Auf jeden Fall ist es ein Erlebnis, in Stücks Miniwelt einzutauchen. Und ganz sicher ist man aus dem winzigen, nur 14 Quadratmeter großen Laden so schnell nicht wieder raus. Norbert Stück, der sich auch als Galerist für die vergessene Form sieht, kann spannende Geschichten zu den Produkten erzählen und ist immer gespannt, welche Erinnerungen die Leute mit den vergessenen Dingen verbinden. „Wir sammeln Alltagsgegenstände aus der Wegwerfgesellschaft und setzen sie wieder ein, in Gang, machen sie wieder lebendig“, erklärt der Künstler, der auf der Weltausstellung Expo 92 in Sevilla als kultureller Vertreter der Länder Brandenburg/Berlin im Deutschen Pavillon gemeinsam mit Raffael Rheinsberg eine Installation aus originalem Berliner Mauerbruch ausgestellt hat.
Fasziniert ist Stück vor allem von der Kreativität der DDR-Produktdesigner, „die in vielen Gegenständen sichtbar wird“, wie er findet. Im Lückeladen gibt es zum Beispiel originale DDR-Reisenähsets, die der Künstler aus dem Nachlass eines Händlers aus Halle hat. Die Plastik-Nähtanks mit Nadeln und Zwirn für unterwegs findet er sehr schön. Jedes Teil im Lückeladen ist ein Original, das die Künstler wieder in die Jetzt-Zeit einbauen. „Manche Sachen sind die Dinge von morgen“ ist das Motto. Oder: „Wiederentdecktes neu formuliert.“
Aus einer abgerissen Schule im Havelland konnte Norbert Stück alte DDR-Schulstempel aus Holz retten. Die Lehrer haben den Kindern früher damit zum Beispiel Organe in die Hefte gestempelt. Junge Leute kaufen das heute im Lückeladen, um dem Partner ein Herz zu stempeln und als Liebeskarte zu schenken. An der Wand in Stücks Design-Panoptikum hängt auch ein Original-Lehrmodell einer Pflanzenzelle aus den 1960er-Jahren. Aus Styropor und Plastik haben die DDR-Modellbauer die einzelnen Zellbestandteile modelliert, die auf Blech haften. Beim Anblick dieses „Kunstwerks“ kommt Norbert Stück ins Schwärmen. Am besten ist, man schaut sich das selbst an und hört die Geschichte, die Stück dazu erzählen kann. DJ
Autor:Dirk Jericho aus Mitte |
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