Als „abenteuerliche Zeit“ verharmlost: Forschungswerkstatt Kolonialgeschichte
Schöneberg. Tempelhof-Schöneberg ist der erste Berliner Bezirk, der die deutsche Kolonialgeschichte lokal erforscht. Ein erstes Ergebnis ist die beachtenswerte Aussstellung „Forschungswerkstatt: Kolonialgeschichte in Tempelhof und Schöneberg“ im Schöneberg Museum.
Unlängst hat die wissenschaftliche Volontärin des Museums, Marie Becker, ihre Ergebnisse vorgestellt. Das Museum hatte im Zuge der Forschungswerkstatt zur Kolonialgeschichte einen öffentlichen Aufruf gestartet. Gesucht wurden und werden weiterhin Gegenstände oder Dokumente, die einen Bezug zu den ehemaligen deutschen Kolonien haben: Briefe, Abbildungen, Postkarten, Sammelkarten, Bücher, Kolonialwaren oder Mitbringsel. „Wir wollen einen kleinen Sammlungsbestand aufbauen“, so Museumsleiterin Irene von Götz.
Der Aufruf sei als Anregung gedacht, über den Kolonialismus nachzudenken, ergänzt Becker.
„Die Kolonialgeschichte wirkt bis heute nach“, sagt sie. Die deutsche Kolonialzeit werde als abenteuerlich verharmlost. Allmählich aber verändere sich der Blick auf die Geschehnisse von damals, in Berlin abzulesen an den Straßenumbenennungen im Bezirk Mitte.
Zehn Tempelhofer und Schöneberger sind in den Keller oder auf den Dachboden gestiegen und haben nach Fundstücken gesucht. Marie Becker hat die dem Museum überlassenen Objekte untersucht, ausgewertet und dabei Erstaunliches über die „Erinnerungsträger einer kolonialen Kultur“ zu Tage gefördert. „Die eingelieferten Objekte sind Teil einer Familiengeschichte. Sie sind aber auch Teil einer größeren Geschichte“, sagt Becker.
Da ist zum Beispiel die von der Hamburger Firma Wolff & Sohn um 1900 produzierte „Indische Blumenseife“, deren Verpackung ein „klassisches koloniales Werbebild“ trage. Der Konsument werde hier „Teil des Eroberungsfeldzuges“. Oder die Sarotti-Dose in einer Nostalgie-Edition aus dem Jahr 1973.
Die Löcknitzschule hat ein Gastgeschenk ihrer chinesischen Partnerschule in der ehemals deutschen Kolonialstadt Tsingtau (Qingdao) ausgeliehen: eine Muschel mit der Silhouette der Stadt. Das Objekt ist als Ausstellungsstück im Museum zu sehen. Ebenfalls aus Tsingtau stammen Miniaturschnitzereien, die Ende des 19. Jahrhunderts gefertigt wurden. Sie stellen Opiumraucher, eine Sänfte tragende Männer, eine Dschunke und chinesische Foltermethoden dar.
Ein Schöneberger stellte Bücher aus verschiedenen Jahrzehnten zur Verfügung. Für Marie Becker besonders interessant war die während der NS-Zeit erschienene Edition der „Kolonial-Bücherei“. Die Bücher erschienen zwischen 1940 und 1942 und tragen Titel wie „Standgericht am Njassa“.
Alte Kolonialliteratur wurde bis in die Mitte der 30er-Jahre neu aufgelegt, ebenso Gustav Frenssens „Peter Moors Fahrt nach Südwest. Ein Feldzugsbericht“, das den Krieg gegen die Herero zum Inhalt hat. Der Tenor laute, so Becker, „der Untergang der Herero ist gottgewollt“. „Solche Bücher sind immer noch erhältlich“, kritisiert sie.
Ein „besonders spannender Forschungsgegenstand in der Zukunft“ seien die Dokumente und Fotos zweier Familien, die mit Unterbrechungen seit Ende des 19. Jahrhunderts bis in die späten Dreißiger als Farmer in „Deutsch-Südwest“, dem heutigen Namibia, gelebt haben. Becker freut sich über weitere Fundstücke und ist unter Marie.Becker@ba-ts.berlin.de oder 902776165 zu erreichen. KEN
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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