Buch beleuchtet Prager Schriftsteller in Berlin – und Schöneberg
Schöneberg. Der Buchmarkt ist gut versorgt mit Büchern, die von Künstlern und ihrem Wirken in Berlin erzählen. Trotzdem vermag es Edda Gutsche, den Blick auf einen noch weitgehend unbekanntes kulturhistorisches Thema zu lenken.
In „Das Glück meines Lebens“ begibt sich die Autorin auf die Spuren von Prager Schriftstellern, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Berlin für sich entdeckten. Keine unerhebliche Zahl von ihnen fand in Schöneberg eine neue künstlerische Heimat.
Gutsche hat für ihr Buch in der Hauptsache biographische und autobiographische Literatur gesichtet und ausgewertet.
So wie Prag einheimische wie Gastschriftsteller zu vielen literarischen Werken inspiriert hat, tat dies auch die deutsche Hauptstadt, insbesondere in den „Goldenen Zwanzigern“. Journalisten und Schriftsteller aus Prag waren fasziniert von der pulsierenden Großstadt, den technischen Neuerungen und vom blühenden Kulturleben, schreibt Gutsche. Und sie wollten beruflich weiterkommen.
In Prag sei das nicht einfach gewesen. Es fehlten einfach deutschsprachige Leser, ebenso mangelte es an avantgardistischen Buchverlagen. Rainer Maria Rilke (1875-1926) aber kam wegen Lou Andreas Salomé; er folgte ihr erst nach München und 1897 nach Berlin, obwohl ihn Preußen und seine Politik anwiderten und er Berlin für die Hochburg des Wilhelmismus hielt. Berlin wurde nie Thema in seinen Werken.
Trotzdem besuchte der Dichter eifrig Universitätsvorlesungen, Museen, Ausstellungen und Theater. „Rilke mietete sich im dritten Stock des Hauses Rheingaustraße 8 ein möbliertes Zimmer“, notiert Edda Gutsche. Das Grundstück ist heute ein Spielplatz. Später zog Rilke zu Lou und ihrem Mann nach Schmargendorf.
Der Drehbuchautor und Filmkritiker Willy Haas (1891-1973) hingegen liebte Berlin, das er schon als Kind kennenlernte. Seine operettenbegeisterten Eltern besuchten häufig die Stadt. „Das war in Schöneberg im Monat Mai“ sei das Lieblingslied der Familie gewesen. 1934 musste Haas Berlin verlassen. Über Prag floh er nach Indien. Ende der 40er-Jahre sah er Berlin wieder. Im Taxi irrte er durch die zerbombte Stadt, bis er die Kleiststraße, den Tauentzien mit dem KaDeWe und den Kurfürstendamm wiederkannte.
Als Prager in Schöneberg sei noch der „rasende Reporter“ Egon Erwin Kisch (1885-1948) erwähnt. Nach dem Besuch einer Journalistenschule 1906/1907 kehrte er 1913 ein zweites Mal nach Berlin zurück. Er wohnte in der Bayreuther Straße 10. Das Haus ist heute Hotel.
Ein dritter Aufenthalt währte von 1921 bis 1933. Lange lebte Kisch in der Hohenstaufenstraße 36, zuletzt hatte er in der Motzstraße ein Zimmer gemietet. „Dort“, so schreibt Edda Gutsche, „wurde er am 28. Februar 1933, in den Morgenstunden nach dem Reichstagsbrand, von der Gestapo verhaftet und abgeführt.“ Nach Protesten der tschechoslowakischen Regierung wurde Kisch aus dem Spandauer Gefängnis entlassen, in einen Zug gesetzt und „gegen Quittung den tschechischen Grenzbehörden übergeben“. Berlin sah Kisch nie wieder.
Im Anhang von Edda Gutsches sehr lesenswertem Buch finden sich noch zwei literarische Spaziergänge. „Durch den Neuen Westen“ und „Mit Kisch durch Böhmisch-Rixdorf“. Beide eignen sich hervorragend für eigene Erkundungen. KEN
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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