Nicht mehr zeitgemäß?
Die Lage der Thomas-Dehler-Bibliothek ist kritisch
Wird die Lesung mit Marcia Zuckermann am 13. Dezember eine der letzten Veranstaltungen in der Thomas-Dehler-Bibliothek sein?
Die Stadtbibliothek Tempelhof-Schöneberg könne sich die kleine Kiezbücherei nicht mehr leisten, rechnet Boryano Rickum vor. Laut Stadtbibliothekschef sei die „analoge“, ehrenamtlich geführte „Nischenbibliothek“ nicht zeitgemäß. „Den Standort zu schließen, ist nicht unser Ziel“, sagt Bärbel Tirl. Die ehemalige Lehrerin organisiert gemeinsam mit Christian Schwarz das Team der Ehrenamtlichen, die seit 2002 die Thomas-Dehler-Bibliothek (TDB) als Zweigstelle der Theodor-Heuss-Bibliothek betreiben.
2017 verzeichnete die Stadtbibliothek ein Gesamtdefizit von rund 1,3 Millionen Euro. Die Strategie des Bezirks, um sie wirtschaftlich zu konsolidieren, lautet: Kosten verringern bei gleichzeitiger Investition, hier insbesondere in die hauptamtlich geführten Standorte. Kosten verringern bedeutet wiederum bezogen auf die TDB, die 2017 ein Defizit von 38 000 Euro verursacht haben soll, sie zu schließen. Da feierte die „Dehler“ ihr 60-jähriges Bestehen und 15 Jahre ehrenamtliche Führung.
Die Lage sei mutwillig herbeigeführt worden, sagt Bärbel Tirl. Bis 2013 immer im Plus, habe es 2014 einen ersten Knick gegeben. Damals wurde die Kiezbücherei aufgrund neuer Datenschutzvorschriften von den persönlichen Daten der Kunden abgekoppelt. „Wir durften keine Ausweise mehr ausstellen oder verlängern und kein Bargeld entgegennehmen“, erläutert Tirl. Das habe die Arbeit und die Ausleihe stark beeinträchtigt. Kunden seien abgesprungen. Das erwirtschaftete Budget stürzte von 41 259 Euro auf 9802 Euro ab.
Etat ist zu klein
Der zweite, noch herbere Einschnitt sei die Herausnahme von Kultur- und Bildungsveranstaltungen aus der Kosten-Leistungs-Rechnung (KLR) gewesen, berichten Tirl und Schwarz. Das sieht auch Stadtbibliotheksleiter Rickum so: Das wesentliche Problem der jetzigen Situation sei die KLR und ihre einschränkenden Bestimmungen. Bärbel Tirl und Christian Schwarz beklagen zudem, dass der Etat für Medien über alle Jahre derselbe geblieben sei: 5000 Euro. „Das ist lächerlich wenig. Dafür können wir im Jahr 300 Medien anschaffen.“
Ihre letzte Hoffnung setzen die Ehrenamtlichen in die Grünen. Die wollen in der BVV durchsetzen, ehrenamtlich geführte Bibliotheken – die TDB ist berlinweit die letzte – und ehrenamtliches Engagement in bezirklichen Bibliotheken in der KLR wieder zu berücksichtigen. Darüber entscheidet maßgeblich der Rat der Bürgermeister. Linke und AfD stimmen der Forderung uneingeschränkt zu. Die Position der FDP ist unklar. Die SPD wolle die Schließung der Bücherei und vielleicht auch die CDU, meint Bärbel Tirl.
Sollen wir Staub wischen?
Sozialdemokraten und Union haben einen Gegenantrag formuliert. Zwar folgen sie in einem ersten Abschnitt der Forderung der Grünen. Im zweiten ist die Schließung verklausuliert schon eine vollendete Tatsache. Nur soll zusätzlich das Engagement der TDB-Ehrenamtlichen in eine andere, hauptamtlich geführte Bibliothek, womöglich sogar in die Verwaltungsbibliothek im Rathaus Schöneberg, hinübergerettet werden.
„Sollen wir in der Verwaltungsbibliothek Staub wischen?“, fragen sich Bärbel Tirl und Christian Schwarz. Das rot-schwarze Ansinnen, das Stadtbibliothekschef Rickum im Mai als eines von zwei Szenarien konzipiert hat, lehnen sie ab. Ebenso Rickums andere Szenario: Die Thomas-Dehler-Bibliothek wird selbstständig; Kostenpunkt: 50 000 Euro im Jahr plus Medientetat. Setzen sich die Grünen durch – mit den Stimmen der FDP könnte es knapp gelingen –, wird die Stadtbibliothek weiterhin wirtschaftlich belastet.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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