Stadtspaziergang
Ein Ausflug in die Tempelhofer Schweiz
Das gibt es nur im Großbezirk Tempelhof-Schöneberg: Die Fassaden von Tempelhofs Moderne- Wohnsiedlung „Blanke Hölle“ aus den frühen Dreißigern spiegeln sich schon knapp ein Jahrhundert im Wasser von Schönebergs Kleinsee „Blanke Helle“.Zu meiner 221. monatlichen Tour lade ich zum Alboinplatz in Schöneberg ein. Gerade ist der Stierkäfer zum Käfer des Jahres gekürt worden. Dazu passt es, endlich mal dem größten Stier Berlins einen Besuch abzustatten.
Er ist wirklich riesig, steht im Südosten Schönebergs, blickt aus Hanglage auf ein tiefliegendes Wasser. Ringsum ist alles grün, eher Parkanlage als Platz. Ringstraße wie Grün, in der Planung schon Platz Q, heißt ab 1930 ziemlich germanophil Alboinplatz, nach dem Langobardenkönig, der seit dem Jahre 550 und seinem Sieg über die Ostgoten ganz Norditalien beherrschte. So bekam beides den kriegerischen Neu-Namen, während das Wasser nordisch-altgermanisch mal Blanke Hele, Höle, Helle oder schließlich Blanke Hölle genannt wurde.
Blanke Hölle heißt auch die von 1929 bis 1930 erbaute Degewo-Siedlung auf östlicher, Tempelhofer Seite. Sie schließt sich mit weißen Fassaden halbrund an die Ringstraße an und setzt sich drei- und viergeschossig mit begrünten Höfen wie Straßen weiter nach Osten fort, mit typischer 20er-Jahre-Moderne, unter Denkmalschutz.
Die Gegend hatte seit Kaisers Zeiten im Volksmund noch einen ganz anderen Namen: Tempelhofer Schweiz. Sie unterschied sich nämlich deutlich vom nordöstlich liegenden Tempelhofer Feld – damals des Kaisers ödes, zerschrammtes Manövergelände. Sie blieb, bis die Überbauung sie schluckte, eine hügelige Landschaftspartie mit eingetiefter Teltow-Kleinseen-Kette in Ost-West-Richtung, nach Abschmelzen letzter Eiszeitgletscher aus wassergefüllten Toteislöchern, kleinen Fließgewässern. Davon blieben Alt-Tempelhofs Klarensee, Schönebergs Blanke Hölle, der Krumme Pfuhl auf dem Friedhof Eytstraße und der alte Dorfpfuhl, heute Lindenhofweiher.
Wussten Sie dass dort neben der Anhalter Bahn in den schwierigen Jahren 1918 bis 1920 Schönebergs letzter Stadtarchitekt Martin Wagner (1885-1957) nach Gartenstadt-Vorbildern die „Kleinwohnsiedlung“ Lindenhof errichten ließ, die nach teilweiser Kriegszerstörung seit den 50er-Jahren mit Wohnblocks ergänzt worden ist? Martin Wagner, gründete nach Schönebergs Eingemeindung in Groß-Berlin den „Verband sozialer Baubetriebe“, übernahm 1925 das Amt des Berliner Stadtbaurats, trieb schon vorher gemeinsam mit Bruno Taut und weiteren gleichgesinnten Architekten den Bau der berühmten 20er-Jahre-Großwohnsiedlungen voran. Als einige seiner Berliner Siedlungen im Jahre 2008 mit dem Ehrentitel „Weltkulturerbe“ ausgezeichnet wurden, bekam die Hufeisensiedlung Britz auch den Teich zurück, der nach Schöneberger Naturvorbild „Blanke Helle“ ins zentrale „Hufeisen“ eingefügt, später zugeschüttet worden war.
Die Idee zum Schöneberger Stein-Stier, Auerochse oder auch bloß Ochse kam 1934 vom sonst wenig bekannten Münsteraner Bildhauer Paul Mersmann d. Ä. Bis 1936 ist der Koloss von arbeitslosen Berufsgenossen aus Rüdersdorfer Kalkstein errichtet worden: Um den Kern, angeblich aus Ziegeln des alten Preußischen Kriegsministeriums, das für Görings Reichsluftfahrtministerium abgerissen worden war. Als „Berlins größter Ochse vor 20 Jahren erneuert wurde, hatte der Restaurator gut zu tun. Die über 3000 weißgrauen Rüdersdorfer Steine mussten, weil verwittert, neu befestigt werden.
Man weiß, in Berlin gibt es fast alles doppelt, gar dreifach. Größere Toteislöcher: 15 Kilometer nördlich von „Blanker“ findet sich „Weißer “, dreimal weiter, außerhalb der Stadtgrenze der „Bogensee“. Der Begriff bog stammt aus dem Slawischen, boginka bedeutet Wassergöttin, auch Nymphe. Nur ein Dutzend Kilometer nördlich des „Ochsen“ steht ab 1934 der Fruchtbarkeitsbrunnen, genannt auch Stierbrunnen, 6,80 Meter hoch. 1927 hatte Bildhauer Hugo Lederer von Stadtbaurat Wagner den Brunnen-Auftrag mit großer Wasserschale in der Mitte erhalten. Für Friedrichshains Baltenplatz, als eine Art Entree von der Thaerstraße zum Berliner Zentralvieh- und Schlachthof. Gefertigt in Sachsen aus Rochlitzer Porphyr, wurde er 1933 angeliefert. Die neue NS-Verwaltung plante über Warschauer-, Petersburger, Danziger den U-Bahn-Ring, verfrachtete die bis zu 19,50 Meter breite Anlage auf den Arnswalder Platz im Bötzowviertel . Anders als der mit gesenkten Kopf im Block verbaute riesige Schöneberger posieren beide Prenzlauer-Berg-Stiere in sogenannter Fruchtbarkeitsstellung.
Die Schöneberger Figur geht auf den altgermanischen Mythos der Lebens- wie Todesgöttin Hel zurück, in dem Hels schwarzer Todesstier mit weißem Pflug, in Umkehr als Zeichen der Hoffnung, erscheint. Frau Holle des Märchens ist dagegen immer weiß. Zeiten, in denen die Götter der alten Germanen wieder Urstand feierten, waren vor allem finstere Zeiten.
Der Rundgang beginnt am Sonnabend, 11. Mai, um 11 Uhr. Treffpunkt ist der Alboinplatz, gegenüber der Bushaltestelle. Die Tour wiederhole ich am 25. Mai um 14 Uhr. Die Teilnahme kostet dann aber neun, ermäßigt sieben Euro. Telefonische Anmeldung dafür unter Tel. 442 32 31.
Die Führung am 11. Mai ist für Leser der Berliner Woche und des Spandauer Volksblatts kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: Am Montag, 6. Mai, in der Zeit von 10 bis 12 Uhr anrufen unter Tel. 887 27 73 02.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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