Der letzte Postillon
Eine Figur an der Geisbergstraße erzählt vom Reisen in früherer Zeit

Der Postillon am ehemaligen Schöneberger Postamt W30.  | Foto: KEN
2Bilder
  • Der Postillon am ehemaligen Schöneberger Postamt W30.
  • Foto: KEN
  • hochgeladen von Karen Noetzel

Verreisen ist derzeit nicht ratsam und sowieso eingeschränkt. Es bleibt das Flanieren durchs Viertel. Zu entdecken ist da auch eine überlebensgroße Kunststeinfigur. Sie erinnert ausgerechnet ans Reisen.

Wo an der Geisberg- und Welserstraße die Fronten des ehemaligen, denkmalgeschützten Postamts W30 zusammentreffen, ragt eine männliche Figur auf. Sie steht auf einem auskragenden Sockel und erinnert an eine frei schwebende Bildsäule oder an eine Galionsfigur. Geschaffen wurde sie 1925 von dem Berliner Bildhauer Hans Schmidt.

Es ist die Darstellung eines Postillons in uniformiertem, langen Pantalons und weitem Umgang. Die Füße stecken in kniehohen Stiefeln. Er trägt eine typische Postillonkopfbedeckung. Seine Berufsattribute sind eine Peitsche, die er in der rechten Hand hält, und ein Posthorn in der linken. Der Kopf ist leicht nach rechts gewandt. Der Blick aus einem klassischen Gesicht ist streng und geht in die Ferne. „Lieblich war die Maiennacht ... Rauher war mein Postillon, ließ die Geißel knallen, über Berg und Tal davon frisch sein Horn erschallen“, dichtete der österreichische Schriftsteller Nikolaus Lenau.

Der Postillon war der Gespannführer einer Postkutsche. Sie beförderte Briefe, Pakete und Personen. Je nach Streckenverlauf und Zustand der Wege kam man in einer Postkutsche am Tag bis zu 100 Kilometer weit. Einer, der davon beredtes Zeugnis ablegen kann, ist Goethe. Er reiste oft und gern und für seine Zeit auch weit. „Für Naturen wie die meine, die sich gerne festsetzen und die Dinge festhalten, ist eine Reise unschätzbar: sie belebt, berichtigt, belehrt und bildet“, schrieb Goethe 1797 in einem Brief an Schiller.

Andererseits: Eine Lustfahrt war das Reisen in der Kutsche meist nicht. Mozart, der ein Drittel seines Lebens unterwegs war, klagte oft über schmerzhafte und anstrengende Fahrten und über Kutschen, die im Morast steckenblieben.

Aber zurück zu unserem Schöneberger Postillon. Eingestellt und bezahlt wurden die „Postknechte“ oder „Postreiter“ von Posthaltern. Das waren oftmas Privatleute, die der Post Pferde und Fuhrwerke zur Verfügung stellten und häufig auch ein Gasthaus betrieben.

Am Sockel in der Geisbergstraße ist die Bezeichnung „Der letzte Postillon“ eingemeißelt. Es ist wohl eine Anspielung auf das gleichnamige Gedicht von Joseph Victor von Scheffel (1826-1886). Es ist ein Abgesang auf den Berufsstand: „Bald ist, soweit die Menschheit haust,/Der Schienenweg gespannt;/Es keucht und schnaubt und stampft und saust/Das Dampfroß rings durchs Land.// ...Der Schimmel trabt, die Peitsche schwirrt,/Laut schmettert Posthornton,/Als Geist kommt durch die Luft kutschiert/Ein greiser Postillon.//Fahl glänzt am gelben Sperlingsfrack/Thurn Taxis' Wappenknopf,/Er raucht uralten Rauchtabak/Aus braunem Ulmerkopf.//...Jetzt geht die Welt aus Rand und Band,/Die Besten ziehn davon,/Und mit dem letzten Hausknecht schwand/Der letzte Postillon.//

Der Postillon am ehemaligen Schöneberger Postamt W30.  | Foto: KEN
Der Letzte Postillon am ehemaligen Schöneberger Postamt W30.  | Foto: KEN
Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

20 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
Schonende Verfahren für Ihre Rückengesundheit werden am 19. März vorgestellt. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Informationen für Patienten
Minimal-Invasive Wirbelsäulenchirurgie

Leiden Sie unter anhaltenden Rückenschmerzen oder Wirbelsäulenbeschwerden? Moderne minimal-invasive Operationsverfahren ermöglichen eine schonendere Behandlung mit schnelleren Genesungszeiten. Erfahren Sie mehr über innovative Therapiemöglichkeiten bei unserem Infoabend mit Dr. (Univ. Kermanshah) Kamran Yawari, Teamchefarzt des Caritas Wirbelsäulenzentrums. In seinem Vortrag erläutert er die Vorteile minimal-invasiver Wirbelsäulenchirurgie und zeigt auf, wann und für wen diese Methoden sinnvoll...

  • Reinickendorf
  • 18.02.25
  • 100× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es gibt und wie moderne Behandlungsmöglichkeiten helfen können.  | Foto: pixel-shot.com, Leonid Yastremskiy

Proktologie: Ende gut, alles gut!

Unser Darm ist mit seinen 5 bis 7 Metern Länge ein wahres Wunderwerk unseres Körpers. Doch wenn es am Ende des Darms zu Erkrankungen kommt, kann das die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen – auch wenn man es nicht sieht. Aus Scham werden diese Probleme oft verschwiegen, dabei gibt es in den meisten Fällen gute Behandlungsmöglichkeiten. Wir laden Sie herzlich zu unserem Informationsabend ein! Erfahren Sie, welche proktologischen Erkrankungen häufig auftreten, welche Untersuchungsmethoden es...

  • Reinickendorf
  • 19.02.25
  • 51× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem.  | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Patienten fragen
Steine in der Gallenblase – was nun?

Gallensteine sind ein häufiges, aber oft unterschätztes Gesundheitsproblem. Etwa jede fünfte Person in Europa ist betroffen, und fast die Hälfte entwickelt im Laufe des Lebens Beschwerden. Diese äußern sich meist in Form von wiederkehrenden Schmerzen, insbesondere im rechten Oberbauch. In einigen Fällen können Gallensteine zu ernsthaften Komplikationen wie einer Entzündung der Gallenblase führen. Die bevorzugte Therapie bei Beschwerden ist die operative Entfernung der Gallenblase – in der Regel...

  • Reinickendorf
  • 12.02.25
  • 461× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Informieren Sie sich über Intensivmedizin. | Foto: 2022 Tomasz Kuzminski

Infoabend am 11. Februar
Grenzen und Möglichkeiten der Intensivmedizin

Die Intensivmedizin hat erstaunliche Fortschritte gemacht und bietet schwerstkranken Patienten Überlebenschancen, die früher undenkbar waren. Doch wo liegen die Grenzen dieser Hochleistungsmedizin? Welche technischen, personellen und ethischen Herausforderungen gibt es? Besuchen Sie unseren Infoabend mit Priv.-Doz. Dr. Stephan Kurz und erfahren Sie, wie intensivmedizinische Maßnahmen Leben retten, aber auch komplexe Entscheidungen erfordern. Was geschieht, wenn Therapieoptionen ausgeschöpft...

  • Reinickendorf
  • 29.01.25
  • 1.062× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.