Der letzte Postillon
Eine Figur an der Geisbergstraße erzählt vom Reisen in früherer Zeit
Verreisen ist derzeit nicht ratsam und sowieso eingeschränkt. Es bleibt das Flanieren durchs Viertel. Zu entdecken ist da auch eine überlebensgroße Kunststeinfigur. Sie erinnert ausgerechnet ans Reisen.
Wo an der Geisberg- und Welserstraße die Fronten des ehemaligen, denkmalgeschützten Postamts W30 zusammentreffen, ragt eine männliche Figur auf. Sie steht auf einem auskragenden Sockel und erinnert an eine frei schwebende Bildsäule oder an eine Galionsfigur. Geschaffen wurde sie 1925 von dem Berliner Bildhauer Hans Schmidt.
Es ist die Darstellung eines Postillons in uniformiertem, langen Pantalons und weitem Umgang. Die Füße stecken in kniehohen Stiefeln. Er trägt eine typische Postillonkopfbedeckung. Seine Berufsattribute sind eine Peitsche, die er in der rechten Hand hält, und ein Posthorn in der linken. Der Kopf ist leicht nach rechts gewandt. Der Blick aus einem klassischen Gesicht ist streng und geht in die Ferne. „Lieblich war die Maiennacht ... Rauher war mein Postillon, ließ die Geißel knallen, über Berg und Tal davon frisch sein Horn erschallen“, dichtete der österreichische Schriftsteller Nikolaus Lenau.
Der Postillon war der Gespannführer einer Postkutsche. Sie beförderte Briefe, Pakete und Personen. Je nach Streckenverlauf und Zustand der Wege kam man in einer Postkutsche am Tag bis zu 100 Kilometer weit. Einer, der davon beredtes Zeugnis ablegen kann, ist Goethe. Er reiste oft und gern und für seine Zeit auch weit. „Für Naturen wie die meine, die sich gerne festsetzen und die Dinge festhalten, ist eine Reise unschätzbar: sie belebt, berichtigt, belehrt und bildet“, schrieb Goethe 1797 in einem Brief an Schiller.
Andererseits: Eine Lustfahrt war das Reisen in der Kutsche meist nicht. Mozart, der ein Drittel seines Lebens unterwegs war, klagte oft über schmerzhafte und anstrengende Fahrten und über Kutschen, die im Morast steckenblieben.
Aber zurück zu unserem Schöneberger Postillon. Eingestellt und bezahlt wurden die „Postknechte“ oder „Postreiter“ von Posthaltern. Das waren oftmas Privatleute, die der Post Pferde und Fuhrwerke zur Verfügung stellten und häufig auch ein Gasthaus betrieben.
Am Sockel in der Geisbergstraße ist die Bezeichnung „Der letzte Postillon“ eingemeißelt. Es ist wohl eine Anspielung auf das gleichnamige Gedicht von Joseph Victor von Scheffel (1826-1886). Es ist ein Abgesang auf den Berufsstand: „Bald ist, soweit die Menschheit haust,/Der Schienenweg gespannt;/Es keucht und schnaubt und stampft und saust/Das Dampfroß rings durchs Land.// ...Der Schimmel trabt, die Peitsche schwirrt,/Laut schmettert Posthornton,/Als Geist kommt durch die Luft kutschiert/Ein greiser Postillon.//Fahl glänzt am gelben Sperlingsfrack/Thurn Taxis' Wappenknopf,/Er raucht uralten Rauchtabak/Aus braunem Ulmerkopf.//...Jetzt geht die Welt aus Rand und Band,/Die Besten ziehn davon,/Und mit dem letzten Hausknecht schwand/Der letzte Postillon.//
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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