Das Winkelmaß für Aufrichtigkeit
Eine Hausfassade mit geheimnisvollen Symbolen
Zu den eindrucksvollsten Häusern in Schöneberg zählt sicherlich das Haus an der Ecke Goltzstraße 32 und Hohenstaufenstraße 69. Das liegt an seiner Fassade.
Die Front des fünfgeschossigen Eckhauses, 1894 bis 1895 für die Bauherren Julius und Louis Oppenheim nach Plänen des Leipziger Architekten Richard Landé errichtet, besteht aus glasierten und kunstvoll angeordneten Klinkern; dazwischen sind unbehandelte Ziegelsteine. Und dazu die vielen Dekorelemente. Da ist das Stockwerkgesims über den Läden und Kneipen im Erdgeschoss. Es wird von Ketten von Halbkugeln mit Meridianen und Blumenmotiven gebildet und rhyhtmisch von Medaillons mit ernst dreinschauenden Mauren und lächelnden Frauen aus Terrakotta gegliedert. Der Dachsims ist von einer Rosette bekrönt.
Zuletzt der reliefartige Türschmuck über dem Eingang in der Goltzstraße. Auf den Schwanzspitzen zweier barocker Delfine ruht ein kleiner Sockel. Aus ihm ranken stilisierte Akanthusblätter empor, in der Mitte von einem Rahmen unterbrochen, darin die Reliefdarstellung eines Gelagerten in Rückenansicht, der die Sonne betrachtet; aus dem Akanthusblattwerk erwächst an der Spitze eine geflügelte Viktoria als Herme. An ihren Flügelspitzen sind Fruchtgehänge befestigt.
Rohe Ziegel, Ketten, Halbkugeln, Meridiane, Blumen in Rauten, Rosen, die Sonne: Es sind Symbole der Freimaurer. Susanne Twardawa (1952-2008) hat sie 2005 in ihrer Schrift zum Winterfeldtplatz gedeutet. „Im unbehauenen Stein sieht sich der Freimaurer selbst, dessen Lebenssinn ein lebenslanges Lernen beinhaltet“, schreibt die Schöneberger Buchhändlerin, Autorin und Verlegerin. Die Raute als Zeichen der Freimaurerei, die Kette als Symbol der Verbundenheit; die Strahlen der Sonne, die die Dunkelheit mit geistigem Licht erhellen; das Winkelmaß, das für Aufrichtigkeit, Geradheit und richtiges Handeln stehe, so Twardawa. „Die Rose ist als Zeichen der Liebe zur Schöpfung das höchste Symbol der Freimauerer.“ Selbst die Hausnummer 32 hat eine verschlüsselte Bedeutung: Sie gilt als Zahl des Herzens.
Die Freimaurerei, deren Ursprung in mittelalterlichen Steinmetzzünften liegt und der lange der Ruf anhaftete ein Geheimbund zu sein, der laut einem Insider aber höchstens ein Bund mit kleinen Geheimnissen ist, nimmt in Berlin und Preußen ihren Anfang mit Friedrich dem Großen.
Am 27. Dezember 1770 wurde die Große Landesloge der Freimaurer von Deutschland (GLL) gegründet. Ihr erstes Ordenshaus in der Oranienburger Straße 71/72, das älteste noch erhaltene Ordenshaus Deutschlands, verkauften die Brüder 1898 an die Reichspost und bauten ihr neues Haus „auf dem Land“, in der Eisenacher Straße 11-13 im damaligen Berliner Vorort Schöneberg. Es kostete 1,3 Millionen Reichsmark, die teilweise aus Spenden aufgebracht wurden. Die Einweihung wurde am 18. November 1900 gefeiert.
In der Zeit des Nationalsozialismus war die Freimaurerei als "Instrument der jüdisch-bolschewistischen Weltherrschaft“ verboten. Das Großlogenhaus in der Eisenacher Straße wurde im Krieg zerstört und nach 1945 notdürftig repariert. Die GLL-Brüder nutzten es bis Mitte der 60er-Jahre. Heute stehen an seiner Stelle Wohnbauten. Die Große Landesloge hat ihren Sitz jetzt in der Dahlemer Villa Heidenreich.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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