Berlin erinnert an Neşet Ertaş
Erste Berliner Gedenktafel an einem U-Bahnhof enthüllt
Eine Berliner Gedenktafel erinnert seit kurzem am U-Bahnhof Bülowstraße an den türkischen Sänger und Komponisten Neşet Ertaş (1938–2012), dessen Wirken in Berlin eng mit dieser U-Bahnstation verbunden ist. Eine Besonderheit: Es ist das erste Mal, dass eine Berliner Gedenktafel an einem U-Bahnhof angebracht wurde..
Neşet Ertaş kam 1938 im türkischen Dorf Kırtıllar in der Provinz Kırşehir zur Welt. Von seinem Vater Muharrem – einem renommierten Vertreter der Abdal-Musiktradition – lernte er die Kunst des Halk-Ozanı – eines Volkssängers und -dichters – sowie das Spiel der Bağlama, einer Langhalslaute. Ertaş gehörte zu den mittellosen sogenannten Abdal-Musikern. Die schon als Kind erlebte Diskriminierung beschäftigte ihn zeitlebens, wobei sich seine persönliche Grundhaltung an der Leitlinie Respekt, Liebe und Toleranz unter den Menschen ausrichtete. Bereits 1957 veröffentlichte Ertaş noch in Istanbul seine erste Schallplatte. Zum musikalischen Repertoire gehörten anfangs über Generationen in der Abdal-Kultur überlieferte und später mehr und mehr selbst komponierte Lieder. Diese teilweise im Bozlak-Stil emotional vorgetragenen Lieder, die er virtuos auf seinem Instrument Bağlama begleitete, machten ihn landesweit bekannt: Seit den 1970er Jahren singen viele in der türkischen Musikwelt bekannte Sänger und Sängerinnen seine Lieder.
Als Taubheitsgefühle an der Hand 1976 seine Karriere gefährdeten, kam Ertaş zur medizinischen Behandlung nach Deutschland. 1980 zog er ins damalige West-Berlin und holte seine Kinder zu sich. Hier nun kommt der U-Bahnhof Büowstraße ins Spiel: Im Türkischen Basar, der sich von 1980 bis 1991 im damals stillgelegten U-Bahnhof Bülowstraße nahe seiner Wohnung in Schöneberg befand, betrieb er von September 1980 bis 1985 sein Musikgeschäft „Neşet Ertaş Saz Haus“, wo er türkische Instrumente, Musikkassetten und Schallplatten verkaufte. Doch mit verbesserter Gesundheit nahm er wieder seine alte Musikertätigkeit wieder auf. Darüber hinaus unterrichtete er im Moabiter Jugenddorfwerk das Saz-Spiel.
Ein Grund für seinen Umzug nach Köln-Bergheim im Jahre 1985 war, dass er damals einfacher im europäischen Ausland Konzerte geben konnte. 2000 feierte der Musiker schließlich auch sein Comeback in der Türkei mit landesweiten Konzerten in überfüllten Konzerthallen. Allerdings lehnte er 2002 die Auszeichnung „Staatskünstler“ durch den damaligen türkischen Präsidenten mit der Begründung ab, er wolle als „Künstler des Volkes“ in Erinnerung bleiben. 2003 zog Neşet Ertaş in die westtürkische Stadt Izmir. Die Große Nationalversammlung der Türkei zeichnete ihn für seine herausragenden Verdienste für die Abdal-Kultur aus. 2010 wurde er von der Unesco zu einem „Living Human Treasure“ (lebenden menschlichen Schatz) erklärt. Das Staatskonservatorium in Istanbul verlieh ihm 2011 den Titel eines Ehrendoktors.
Am 25. September 2012 verstarb er in Izmir an einer Krebserkrankung und wurde am Fuße des Grabes seines Vaters in Kırşehir beigesetzt.
Neşet Ertaş gilt als einer der herausragendsten Künstler der türkischen Volksmusik. Nun ehrt ihn auch Berlin – auf eine Initiative des Vereins Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin, der sich seit 2013 bei der Umsetzung des Gedenktafelprogramms der Stadt engagiert – mit einer weißen Porzellantafeln der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin an einem wieder in Betrieb befindlichen Bahnhof in Schöneberg.
Autor:Uwe Lemm aus Mahlsdorf |
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