"Es war Kristallnacht und sie musste zumachen": Margot Friedländer erinnert sich bei Stolpersteinverlegung

Zeitzeugin Margot Friedländer (links) schaut Gunter Demnig bei der Stolpersteinverlegung in der Eisenacher Straße zu, rechts der frühere Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz. | Foto: KEN
2Bilder
  • Zeitzeugin Margot Friedländer (links) schaut Gunter Demnig bei der Stolpersteinverlegung in der Eisenacher Straße zu, rechts der frühere Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz.
  • Foto: KEN
  • hochgeladen von Karen Noetzel

Schöneberg. Obgleich die Koordinierungsstelle für die Stolpersteinverlegung im Bezirk seit fast einem Jahr unbesetzt ist, konnten in diesen Tagen doch wieder kleine Bodendenkmäler für von den Nazis verfolgte und ermordete jüdische Mitbürger verlegt werden.

So geschehen am 25. September vor der Nollendorfstraße 16 für Elfriede und Julius Berg, die im Juni 1942 deportiert und in Polen ermordet wurden, und vor dem Haus in der Eisenacher Straße 2. Initiator der Verlegungen durch den „Erfinder“ der Stolpersteine, den Kölner Künstler Gunter Demnig, war die Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine des Schöneberger Kulturarbeitskreises. Im Falle der Eisenacher Straße hatte dazu die Zeitzeugin und gebürtige Berlinerin Margot Friedländer angeregt.

Die heute 94-jährige Überlebende des Holocaust, die vor fünf Jahren nach 64 Jahren in den USA in die bundesdeutsche Hauptstadt zurückgekehrt ist und seither unermüdlich Schülern über ihre Erlebnisse berichtet, war ab 1937 anderthalb Jahre lang Lehrmädchen in der Schneiderei von Rosa Nathanson, für die gemeinsam mit ihrem Mann Adolf Aron Nathanson in der Eisenacher Straße die Stolpersteine in den Gehweg eingelassen wurden.

„Rosa Nathanson war eine wunderbare, sehr talentierte und damals schon alte Dame“, erinnert sich Margot Friedländer. „Als ich am 10. November 1938 zu ihr wollte, war es zu Ende. Es war Kristallnacht und sie musste zumachen.“

Die Schneiderei befand sich in dieser Zeit schon in der Kalckreuthstraße 14. Dorthin mussten die Nathansons im April 1937, nach 25 Jahren in dem stattlichen Gründerzeithaus in der Eisenacher Straße, völlig verarmt ziehen. Die 78- und 63-Jährigen waren auf Wohlfahrtsunterstützung des Bezirks angewiesen. Trotzdem arbeiteten bei Rosa Nathanson vier oder fünf Schneiderinnen. Das weiß Margot Friedländer noch ganz genau. „Ich glaube, sie hatte einmal einen sehr schönen Salon.“

Der befand sich, so Recherchen, in Mitte. Adolf Aron Nathanson hatte einen Tuchhandel unter dem Namen Liebenthal & Nathanson, gegründet 1889 und 1904 ins Handelsregister eingetragen. 1936 wurde die Eintragung gelöscht, die Firma liquidiert. Rosa arbeitete noch bis Frühsommer 1942 als „Heimarbeiterin Konfektion“. Ihr verbliebener Besitz: ein Zuschneidetisch, ein Plättbrett, ein Arbeitstisch, drei Scheren und eine Singer-Nähmaschine.

Vermutlich stand das Ehepaar auf der Transportliste des Deportationszuges nach Theresienstadt am 25. Juni 1942, wie ihr Untermieter Oskar Grünblatt. Er wurde später in Treblinka ermordet. Dem hat sich das Ehepaar Nathanson durch Flucht in den Tod am 23. und 25. Juni 1942 entzogen.

Ihr Wohnungsinventar kauften der Frontsoldat Heinz Braun und ein Doktor Stillgen aus dem Reichsfinanzministerium, der gerade von Wien nach Berlin gezogen war. Der Hausbesitzer beantragte die ausgefallene Miete beim Oberfinanzpräsidenten. Nach 1945 hat nur die jüdische Restitutionsinstitution JRSO eine Rückerstattung beantragt. Kinder oder sonstige Angehörige gab es nicht mehr. KEN

Zeitzeugin Margot Friedländer (links) schaut Gunter Demnig bei der Stolpersteinverlegung in der Eisenacher Straße zu, rechts der frühere Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz. | Foto: KEN
Die beiden Stolpersteine vor dem Haus Eisenacher Straße 2 erinnern an Rosa und Adolf Aron Nathanson, die sich vor ihrem Transport nach Theresienstadt im Juni 1942 das Leben nahmen. Foto: KEN | Foto: KEN
Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

20 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

Gesundheit und MedizinAnzeige
 Ist Ihr Herz gesund? Informieren Sie sich am 20. November über Herzschwäche und wie man sie erkennt und behandelt. | Foto: Caritas-Klinik Maria Heimsuchung

Infos über Herzinsuffizienz
Vortrag: „Herzschwäche erkennen und behandeln“

Die Caritas-Klinik Maria Heimsuchung lädt Sie herzlich zu einem informativen Vortrag am 20. November 2024 von 17 bis 18 Uhr ein. Unter dem Titel „Stärke dein Herz – Herzschwäche erkennen und behandeln“ erfahren Sie Wissenswertes über die frühzeitige Erkennung und moderne Behandlungsmöglichkeiten der Herzinsuffizienz. Dr. med. Philipp Krauser, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie sowie Oberarzt im Caritas Kardiozentrum Berlin, wird in dem Patienteninformationsabend auf die typischen...

  • Pankow
  • 30.10.24
  • 457× gelesen
WirtschaftAnzeige
Tätowierungen sind eine Kunst mit jahrtausendealter Geschichte, die über Jahrhunderte hinweg die Körper der Menschen schmückte. Doch der Beruf des Tätowierers ist nicht nur kreative Arbeit. Es ist ein anspruchsvolles und faszinierendes Handwerk. | Foto: VEAN TATTOO
3 Bilder

VEAN TATTOO
Tätowierer: einer der gefragtesten Berufe unserer Zeit

Tätowierungen sind eine Kunst mit jahrtausendealter Geschichte, die über Jahrhunderte hinweg die Körper der Menschen schmückte. Doch der Beruf des Tätowierers ist nicht nur kreative Arbeit. Es ist ein anspruchsvolles und faszinierendes Handwerk, das nicht nur künstlerische Fähigkeiten, sondern auch ein tiefes Verständnis des gesamten Prozesses erfordert. In diesem Artikel wird VEAN TATTOO Ihnen die Welt der Tätowierkunst näherbringen und erläutern, warum der Beruf des Tätowierers heute zu den...

  • Mitte
  • 28.10.24
  • 572× gelesen
Gesundheit und MedizinAnzeige
Leiden Sie unter anhaltenden Knie- oder Hüftschmerzen? Erfahren Sie, wie Sie mit modernsten Methoden Ihre Mobilität zurückgewinnen. | Foto: Caritas-Klinik Dominikus

Infoabend am 12. November
Leben ohne Knie- und Hüftschmerzen

Leiden Sie unter anhaltenden Knie- oder Hüftschmerzen, die jeden Schritt zur Qual machen oder Ihnen sogar in Ruhe keine Erholung gönnen? Es muss nicht so bleiben! Besuchen Sie unseren Infoabend "Leben ohne Knie- und Hüftschmerzen: Schonende & komfortable OP-Methode!" und erfahren Sie, wie Sie mit modernsten Methoden Ihre Mobilität zurückgewinnen – schonend, effektiv und ohne Angst vor einem Eingriff. Expertenwissen kommt beim Infoabend am 12. November aus erster Hand: Tariq Qodceiah, Chefarzt...

  • Reinickendorf
  • 01.11.24
  • 305× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für rund 105.000 Haushalte im Bezirk Lichtenberg baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom
2 Bilder

Telekom macht's möglich
Schnelles Glasfasernetz für Lichtenberg

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes im Bezirk Lichtenberg auf Hochtouren. Damit können rund 105.000 Haushalte und Unternehmen in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Karlshorst, Lichtenberg und Rummelsburg einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Schnell sein lohnt sich Wer jetzt einen Glasfaser-Tarif bei der Telekom beauftragt, gehört...

  • Bezirk Lichtenberg
  • 30.10.24
  • 432× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.