Hier wurde 1919 das „Deutschtum“ erfunden
Heute Spielplatz, früher Schutzbundhaus

Motzstraße 22, ein Ort mit ziemlich brauner Vergangenheit. | Foto: KEN
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Die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialvergangenheit ist im Gange. Das findet auch im Bezirk seinen Niederschlag, so 2017 in der Ausstellung „Forschungswerkstatt: Kolonialgeschichte in Tempelhof und Schöneberg“ im Schöneberg Museum.

Nach 100 Jahren des Nicht-Gedenkens haben CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, die Kolonialgeschichte in der Erinnerungskultur der nationalsozialistischen Vergangenheit und dem DDR-Unrechtsstaat gleichzustellen.

Die Grüne Jessica Mroß hat nun dazu gleich vier Anträge in die BVV eingebracht. Der Kulturausschuss wird sich mit ihnen beschäftigen. Mroß wünscht sich Gedenk- und Informationstafeln am Haus am Kleistpark, das als ehemalige Botanische Zentralstelle für die deutschen Kolonien im Fokus der erwähnten Ausstellung stand; am Standort der Goerzwerke in der Rheinstraße, am Kammergericht und am Gebäude in der Potsdamer Straße 92, ehemals Sitz der auf Expansion ausgerichteten Deutschen Kolonialgesellschaft.

Für einen Ort hat die Lokalpolitikerin bisher keine Gedenktafel gefordert: In der Motzstraße 22 wurde das „Deutschtum erfunden“, wie es der Historiker bei „Kulturprojekte Berlin“, Bjoern Weigel, formuliert.

Wo heute ein Spielplatz ist, stand einmal das „Schutzbundhaus“, am 26. Mai 1919 Gründungsort des nationalistischen, teilweise völkischen „Deutschen Schutzbundes für das Grenz- und Auslandsdeutschtum“. Sein Ziel war die Schaffung eines „Großdeutschen Reichs“. Der Blick des Schutzbunds ging nach Osten, nach Polen. Dort sollte das „Deutschtum“ verteidigt werden. Vorbote der Hitler-Doktrin vom „Lebensraum im Osten“, die völkische Gruppierungen seit der Zeit des wilhelminischen Kaiserreichs prägten. Kolonialismus unter anderen Vorzeichen.

Der Schutzbund wurde auf Initiative des Vereins für das Deutschtum im Ausland (VDA) ins Leben gerufen und fungierte als Dachorganisation von rund 120 Verbänden. Sie bestanden teilweise schon vor 1918. Zum Vorsitzenden des Schutzbunds wurde VDA-Chef Franz von Reichenau, ein kaiserlicher Diplomat außer Diensten, berufen. Zweiter Vorsitzender war Freiherr Friedrich Wilhelm von Willisen (1876-1933), Offizier, Politiker und graue Eminenz der Reichswehr. Er wurde 1922 von Karl Christian von Loesch abgelöst, einem Berliner Universitätsprofessor für Ethnologie und Paläontologie. In Willisens Charlottenburger Wohnung in der Giesebrechtstraße 15 trafen sich der Zentrumspolitiker Heinrich Brüning, der Deutschnationale Gottfried Treviranus, der Journalist Hermann Ullmann (sein Schwerpunktthema: die Lage des Auslandsdeutschtums) sowie die Militärs Wilhelm Groener und Kurt von Schleicher zu politischen Beratungen.

Federführend für das „Grenz- und Auslandsdeutschtum“ sei der sogenannte Juniklub gewesen, so Historiker Weigel. Der rechtsintellektuelle Zirkel Jungkonservativer, die die westliche Demokratie, den Versailler Vertrag und die Republik ablehnten, zog Ende 1920 in die Motzstraße um. Er war straff organisiert. Zu den regelmäßigen Treffen kamen bis zu 150 Mitglieder und Gäste. Der Juniklub löste sich 1924 bereits wieder auf. Der Schutzbund wurde 1930 zu einem „Volksdeutschen Arbeitskreis“ verkleinert, 1933 gleichgeschaltet. Er ging vermutlich im in Volksbund für das Deutschtum im Ausland umbenannten VDA auf. 1936 erfolgte die endgültige Auflösung.

Autor:

Karen Noetzel aus Schöneberg

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