Stadtrat Daniel Krüger sah den Mauerfall im Fernsehen
Ein "Ossi" als Stadtrat in einem Bezirk der City West: Werden Sie noch manchmal darauf angesprochen?
Daniel Krüger: Bei dem Wort Ossi werde ich gleich grantig. Eine vermeintliche Ost-West-Problematik, die da anklingt, wird leider nach wie vor von bestimmten Medien befördert und ausgeschlachtet. Meine Mutter findet es amüsant, wenn ihr gesagt wird: Ach, Sie kommen aus dem Osten, das sieht man Ihnen gar nicht an! Ist wohl eher ein Armutszeugnis für den Fragesteller. Ich bin vor 22 Jahren nach Schöneberg gekommen und habe in einem Planungsbüro gearbeitet. Die Berliner Kollegen redeten von ihren Bezirken, egal ob Ost oder West und die Zugereisten von ihrer Heimat, völlig normal. Natürlich sprach man auch von der DDR, aber es gab nie eine Stigmatisierung.
Wie haben Sie vom Mauerfall erfahren?
Daniel Krüger: Im Fernsehen. Ich leistete gerade meinen Wehrdienst in der NVA in Neubrandenburg ab. Aber viel ergreifender als die Pressekonferenz Günter Schabowskis am 9. November war für mich der Tag danach. Ich saß im Bunker der Flugleitung und sah im Fernsehen die Leute, die ungehindert in den Westteil gingen. Da habe ich geweint. Ich wollte auch dabei sein. Das habe ich dann am 11. November in der Bernauer Straße nachgeholt.
Der Mauerfall liegt ein Vierteljahrhundert zurück. Staunen Sie manchmal noch über das, was damals geschah?
Daniel Krüger: Ja. Wir alle waren fasziniert davon, dass man am 9. November 1989 die Grenze überwinden konnte, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen. Es war ein Traum, der in Erfüllung ging.
Hätten Sie gedacht, dass Deutschland je wiedervereinigt sein wird?
Daniel Krüger: Der Mauerfall war zwingend. Mit Abstand von 25 Jahren muss ich sagen, dass die DDR ökonomisch nicht mehr lebensfähig war. Sie war ausgeblutet, der Mittelstand systematisch zugrunde gerichtet.
Der Mittelstand in der DDR?
Daniel Krüger: Ja, es gab in der DDR ein Bürgertum. Jeder sollte Uwe Tellkamps Roman "Der Turm" lesen. In unserer schnelllebigen Zeit wird die DDR auf FDJ, Sandmännchen und SED-Parteizugehörigkeit reduziert. Es gab aber mehr. Ich selbst bin in einem behüteten bürgerlich gesinnten Elternhaus in Friedrichshain aufgewachsen. Meine Eltern waren in der Werbebranche tätig. Verwandtschaft und Freunde im Westen kamen regelmäßig zu Besuch. Zuhause lief ausschließlich West-Fernsehen: Heute im ZDF, Abendschau und Tagesschau gehörten zum festen Tagesprogramm.
Haben Sie als Kind und Jugendlicher etwas vermisst?
Daniel Krüger: Ich war 20 Jahre alt, als die Mauer fiel. Ich habe mir vielleicht Gedanken darüber gemacht, dass ich nicht überallhin reisen konnte. Aber das wäre natürlich auch eine Geldfrage gewesen. Und natürlich interessierte mich der andere Teil Berlins.
Was erzählte man Ihnen in der Schule über die Bundesrepublik?
Daniel Krüger: Die Bundesrepublik wurde in Geografie als Teil Westeuropas wie ein fremdes Land behandelt. Als ich mal in der Grundschule nach den Nachbarbezirken Friedrichhains gefragt wurde, nannte ich als einziger Kreuzberg. Ich bekam keine Schelte vom Lehrer. Nur einmal wurde ich zum Direktor zitiert. Ich hatte Kirchen gezeichnet. Man wollte mich eben auf Linie bringen. Aber das Abitur durfte ich trotzdem ablegen.
Wie hat der Fall der Mauer Ihr Leben verändert?
Daniel Krüger: Ich erfuhr, was Freiheit auch bedeutet, an der Technischen Universität, wo ich im April 1990 mein Studium des Verkehrsingenieurswesens begann. Meine Seminare und Vorlesungen suchte ich mir selbst zusammen. In der DDR hätte es bestimmt einen Tutor mit Laufzettel gegeben. Na ja, der Fürsorgegedanke war nicht nur schlecht.
Wie erleben Sie das Jubiläum?
Daniel Krüger: Es rührt mich an. Es geht mir ans Herz. Jedes Mal, wenn ich Bilder von der Prager Botschaft oder vom Grenzübergang Bornholmer Straße sehe. Eine tolle Zeit!
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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