"Wir werden respektiert im Kiez"
"Nachtbürgermeister" und "Nachtlichter" ziehen Bilanz

"Nachtbürgermeister" Bastian Finke (l.) mit den "Nachtlichtern" Vincent, Solo und Abu. | Foto: Ulrike KIefert
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  • "Nachtbürgermeister" Bastian Finke (l.) mit den "Nachtlichtern" Vincent, Solo und Abu.
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Nach 100 Tagen zog der Bezirk für seine zwei Pilotprojekte „Nachtbürgermeister“ und „Nachtlichter“ jetzt eine erste positive Bilanz. Der Regenbogenkiez sei kein Kriminalitätsschwerpunkt mehr, so Bürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD).

Bastian Finke trägt keine Amtskette und auch kein Schöneberger Wappen am Revers. Trotzdem ist er Bürgermeister – „Nachtbürgermeister“, um genau zu sein. Seit Mitte Mai laufen er und drei Teamkollegen wieder durch den Regenbogenkiez, um als Mediatoren zwischen Kneipiers, Club- und Hotelbesitzern, Touristen und Anwohnern zu vermitteln. Damit das Nachtleben möglichst nicht die Anwohner stört. Dafür sorgen auch die „Nachtlichter“, das zweite Pilotprojekt des Bezirks. Beide starteten bereits im März, wegen der Pandemie aber war der "Nachtbürgermeister" nur telefonisch oder per Mail erreichbar, die "Nachtlichter" mussten komplett pausieren.

"Die soziale Kontrolle wirkt"

Seit dem Restart Mitte Mai sind nun 100 Tage um. Weshalb Bürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) jetzt auf dem „Bürgerplatz“ Fuggerstraße/Ecke Eisenacher Straße eine erste Bilanz zog – und die fiel positiv aus. „Wir sind auf dem richtigen Weg, die Teams zeigen Präsenz, die soziale Kontrolle wirkt“, sagte Schöttler. „Der Regenbogenkiez ist für die Polizei kein kriminalitätsbelasteter Ort mehr.“ Allerdings gehe man weiterhin von einer hohen Dunkelziffer an Straftaten aus, da nicht alle Delikte angezeigt würden.

Vorbild aus Amsterdam

Der Regenbogenkiez ist ein beliebtes queeres Ausgehviertel westlich des Nollendorfplatzes. Touristen aus aller Welt kommen hierher. Gleichzeitig hat der Kiez rund um „die Nolle“ mit Kriminalität zu kämpfen: Diebstähle, Drogenmissbrauch, berüchtigtes „Antanzen“, homophobe Übergriffe – und mittendrin die Anwohner. Wie bringt man da Vergnügen und Wohnen verträglich unter einen Hut? Dazu hatte sich Bürgermeisterin Schöttler in Amsterdam den „Nachtbürgermeister“ (Night Mayor) und die „Nachtlichter“ (Place Hosts) abgeschaut. Die niederländische Metropole macht damit gute Erfahrungen. Also holte die Bezirkschefin beide Projekte nach Schöneberg mit dem Ziel, den gestressten Regenbogenkiez zu befrieden. Mit Erfolg. „Wir sind gut angekommen im Kiez“, zog Diplom-Soziologe Finke Bilanz. „Man kennt uns und man nimmt uns ernst.“ Über 700 Kontaktgespräche haben die "Nachtbürgermeister" bei ihren täglichen Rundgängen bislang geführt und weitere 250 im Tiny House auf dem „Bürgerplatz“. Der Kiezinfopoint – ein Häuschen auf Rädern, bereitgestellt von Visit Berlin – ist der dritte Pilot im Projektpaket. Manchmal muss Night Mayor Finke auch zum Sozialarbeiter werden: „Neulich kam ein 15 Jahre alter Junge ins Tiny House. Er suchte für sich eine Schule, und die haben wir für ihn auch gefunden.“

Schlichten, vernetzen, entwickeln

Der „Nachtbürgermeister“ soll für ein konfliktarmes Miteinander aber nicht nur schlichten und Probleme früh erkennen, sondern auch vernetzen und entwickeln. Ein neues Tourismuskonzept zum Beispiel. Oder einen Präventionsrat und „Impulsgruppen“. Zehn solcher aktiven Gesprächsgruppen mit Akteuren aus dem Kiez seien bereits gegründet, erzählte Bastian Finke. Zu den Themen „Nachbarn“, „Tourismus und Handel“ oder „Kleingewerbe“ etwa. Dazu halten die "Nachtbürgermeister" neben der Wirtschaftsförderung des Bezirks steten Kontakt mit den Geschäftsleuten. Die hatten in der Hochzeit der Corona-Krise bekanntlich besonders gelitten. Und viele Touristen bleiben immer noch fern.

„Sie schauen hin, wo andere weggucken“

Federführend beim Night-Mayor-Projekt ist die neue Stabsstelle „Dialog und Beteiligung“, die im Büro der Bürgermeisterin angesiedelt ist. Von hier werden auch die „Nachtlichter“ gesteuert. Sie sind eine Art Parkläufer. Zwei Zweier-Teams zeigen in den Nächten von Freitag auf Sonnabend und von Sonnabend auf Sonntag Präsenz und erhöhen so das Sicherheitsgefühl der Anwohner. „Sie sind aber kein Sicherheitsdienst, keine Polizisten und auch keine Ordnungshüter“, erklärte Bürgermeisterin Schöttler. „Sie schauen hin, wo andere weggucken.“ Das heißt dann für die "Nachtlichter" auch schon mal, einen betrunkenen Krakeeler zur nächsten U-Bahn zu bringen oder zur Stelle zu sein, wenn ein Wirt sie braucht, der sein Lokal nachts nicht allein verlassen will.

Konkret sieht die Bilanz der Nachlichter nach 100 Tagen so aus: 349 Vorfälle, darunter 52 Ruhestörungen und Streits, 53 Verstöße gegen Corona-Regeln, gut 40 Mal beobachtete Prostitution, öffentliches Urinieren und Drogenkonsum sowie 85 Gespräche. „Wir werden respektiert“, sagte Vincent, der mit Solo und Abu zu den "Nachtlichtern" gehört. Beschimpfungen oder gar Pöbeleien hätten sie im Kiez nicht erlebt.

Pilotprojekt läuft bis Ende 2021

Beaufragt sind die „Nachtlichter“ von der Firma „SI³ think“ von Iris Uhlenbruch, die auch die Parkläufer im Nelly-Sachs-Park und im Kleistpark managt. Mit der Organisation der „Nachtbürgermeister“ hat das Bezirksamt „Maneo – Das schwule Anti-Gewalt-Projekt in Berlin“ beauftragt. Zwei "Nachtbürgermeister" streifen täglich sechs Stunden durch den Kiez, das andere Zweier-Team ist montags bis freitags von 17 bis 20 Uhr im Tiny House auf dem „Bürgerplatz“ erreichbar. Beide Pilotprojekte laufen erst mal bis Ende Dezember 2021. Der "Nachtbürgermeister" wird mit 85 000 Euro pro Jahr vom Land Berlin finanziert, die "Nachtlichter" mit 80 000 Euro. Berlinweit sind sie einzigen ihrer Art.

Autor:

Ulrike Kiefert aus Mitte

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