Auf der Roten Insel
Spaziergang am 22. September zum Gustav-Müller-Platz
Bei meinem 164. Woche-Spaziergang mit der Leiter lade ich Sie auf Schönebergs Rote Insel ein. Der Name findet sich, zu „Insel“ verkürzt, überall in der Alltagssprache des Viertels und bei der Benennung diverser Lokalitäten. Die dreieckige Insel ist von den Yorkbrücken im Norden bis zur Ringbahn im Süden komplett von Bahntrassen eingefasst. Mittendrin gibt es den Gustav-Müller-Platz.
Das Viertel im Osten Schönebergs, wirkt hier fast wie eines der berüchtigten Mietskasernenviertel des Berliner Nordens und Ostens. Doch anders als im Moloch Reichshauptstadt in der jungen wohlhabenden Stadt Schöneberg, die sich westlich des alten Dorfkerns sehr bürgerlich gediegen gab, begnügten sich die Bauherren selbst im billigen Arbeiterquartier mit nur einem Hinterhof pro Haus. Hier war eben fast alles ein bisschen kleiner.
Aber Bauland war überall knapp. Der fast runde Platz, den es seit 1907 gibt, wirkt mit seinen vier Straßeneinmündungen erstaunlich kompakt. Schon 1912 hatten die Mieter der Vorderhäuser die verputzten Mauern und die Kuppel der neubarocken Kirche in der Platzmitte ganz nah vor den Augen: die Königin-Luise-Gedächtniskirche. Vielleicht haben sich heute auch gerade wegen der kinderreichen Königin in umliegenden alten Ladenlokalen mehrere Kindergärten angesiedelt, die wochentags den Platz zum Leben bringen. Die beinahe heiliggesprochene und neben ihren anderen Vorzügen wohl schönste aller Preußenköniginnen hatte zehn Kinder. Darunter waren zwei künftige Könige, eine künftige Zarin. Bis in die Gegenwart folgten königliche Nachfahren in europäischen Dynastien.
Bescheidener ist der Allerweltsname Müller. Er ehrt einen Schöneberger Kommunalpolitiker, der schon im ausgehenden 19. Jahrhundert für den Beitritt der aufstrebenden Stadt zur Reichshauptstadt warb. Wussten Sie, dass in dieser alten Arbeitergegend zwei berühmte Schauspielerinnen lebten? Im Jahre 1901 wurde hier Marlene Dietrich geboren, der in der Leberstraße mit Gedenktafeln und Giebelbild gedacht wird. Und ein Vierteljahrhundert später wuchs ganz in der Nähe Hildegard Knef auf. Da war Schöneberg längst Berliner Stadtbezirk. Die Knef spielte 1946, noch ganz jung und mit unverbrauchtem Gesicht, die Hauptrolle in Wolfgang Staudtes „Die Mörder sind unter uns“, dem ersten deutschen Nachkriegsfilm. Seitdem, wie man weiß, hatte sie immer einen Koffer in Berlin.
Heute ist die Rote Insel mit ihrer seit dem Kaiserreich starken sozialdemokratischen Wählerschaft sehr mit dem Namen Dr. Julius Leber verbunden. Der SPD-Reichstagsabgeordnete musste ab 1933 vier Jahre KZ-Haft erdulden, übernahm danach am Bahngelände Torgauer Straße die Kohlenhandlung Bruno Meyer Nachfolger. Die unauffällige Baracke wurde ein Treff des Widerstands, der Leber über die Bekanntschaft mit Oberst Graf Stauffenberg in den Kreisauer Kreis führte. Schon vor Stauffenbergs Attentat verhaftet, wurde er später vom Volksgerichtshof, der im Kammergericht im nahen Kleistpark tagte, verurteilt und hingerichtet. Die alte Baracke konnte vor Jahren als wichtiger Geschichtsort vor Abriss gerettet werden.
Ganz in der Nähe steht das knapp 80 Meter hohe Stahlgerüst des riesigen Teleskopgasometers, von der Englischen Gasgesellschaft vor dem Ersten Weltkrieg zur Erweiterung ihres Schöneberger Werkes gebaut. Der amerikanische Maler Lyonel Feininger, berühmt für seinem kristallinen Expressionismus, nahm das Gerüst als Bildmotiv. Auch Hans Baluschek, bekannt für seine sozialkritischen Arbeiterbilder, malte später das Bahngelände an der Roten Insel mit Gasometer. Auf dem tiefensanierten Gaswerkareal ist vor wenigen Jahren der Cheruskerpark angelegt worden. Mit solide verbauten Betonelementen und weiten, ebenen Flächen vertritt er, ganz im Zeichen des Klimawandels, die Spezies der neuen Berliner Steppenparks, die als besonders pflegeleicht gelten und in der Abendsonne golden leuchten.
Der Spaziergang beginnt am Sonnabend, 22. September 11 Uhr. Treffpunkt ist Kolonnen-/Ecke Cherusker-straße, nahe S-Bahnhof Julius-Leber-Brücke. Verkehrsverbindung: S1 bis S-Bahnhof Julius-Leber-Brücke.
Die Führung ist für die Leser der Berliner Woche kostenlos. Allerdings ist eine Anmeldung erforderlich: am Freitag, 17. August, von 10 bis 12 Uhr anrufen unter der Nummer 887 27 74 14.
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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