Vermittler und zweite Zunge: Die Integrationslotsen der Katzlerstraße
Wie findet man sich als Fremder in Deutschland zurecht? Das Landesprojekt Integrationslotsinnen und Integrationslotsen soll eine Antwort auf diese Frage sein. Ein Blick in den Alltag der Teilnehmer offenbart: Der Weg in die Mitte der Gesellschaft führt über viele kleine Verständnisbrücken.
Geschäftsführerin Larissa Neu redet ruhig und gewogen, dennoch schlüpft aus jedem ihrer Worte ein wenig Begeisterung für die Arbeit des Vereins. Aus der eigenen Migrationserfahrung heraus Brücken für diejenigen zu bauen, die sich in Deutschland erst noch zurechtfinden müssen – das hat sich der Harmonie e.V. zur Aufgabe gemacht. Freudestrahlend erzählt Neu von dem arabischen Konzert, das kürzlich stattfand, als Gemeinschaftsaktion mit benachbarten Ladeninhabern. Alle – Nahost-Flüchtlinge, Ukrainer, Russen, Türken, Anwohner und Gewerbetreibende – hätten gemeinsam auf der Straße getanzt. Das sind die schönen Momente. Doch bei aller Romantik bleibt der Alltag eine Herausforderung.
Deutsche bürokratische Republik
Seit 2013 ist der Verein Träger des Berliner Landesprogramms Integrationslotsinnen und Integrationslotsen. In diesem Rahmen werden neu Zugewanderte bei Behördengängen, Arztterminen und allem, was in einer anderen Sprache eben schwerfällt, unterstützt. Für die Lotsen ist das ein Vollzeitjob zwischen komplexen Problemlagen. Samir, der selbst aus Marokko zugezogen ist und wie die anderen Lotsen seinen Nachnamen privat halten möchte, erklärt den Arbeitsbereich so: "Die meisten Flüchtlinge sind aus Syrien und dem Irak hier. Sie sind nicht gewohnt, in diesem System zu leben. Die Bürokratie, das viele Papier, pünktlich bei Terminen zu sein: Das ist richtig schwierig für die Leute." Diese Erfahrung hat auch Lisa aus Weißrussland gemacht: "Wenn sie Fristen verpassen oder Termine nicht wahrnehmen, entstehen Berge von Problemen. Manche kennen so etwas aus ihren Heimatländern überhaupt nicht." Beide assistieren hauptberuflich bei allen Irrungen und Wirrungen des Ankommens im neuen Lebensraum.
Kompetenzen nutzen
Das Konzept des Projektes erscheint gleichsam als intuitive Lösung und logische Konsequenz der viel beschworenen Flüchtlingskrise: Migranten nutzen ihre multilinguale Kompetenz und ihr bikulturelles Einfühlungsvermögen, um anderen das Einleben zu erleichtern. Weil sie beide Seiten verstehen, können Sie optimal vermitteln. Tania aus dem Irak findet dafür eine treffende Metapher: "Man kann sagen, wir sind die zweite Zunge für einen Menschen, wir begleiten die Leute überall hin." Vor allem in den Mühlen der Bürokratie fließt dabei viel Zeit davon.
Können die Integrationslotsen über die Lösung von Alltagsproblemen hinaus nachhaltig einen Weg in die Gesellschaft ebnen? Oder bilden sich hier neue monokulturelle Cluster, die letztlich in die Segregation führen? Kurzes Zögern. Dann erklärt Neu: "Wir vermitteln zu verschiedenen Angeboten weiter. Wir haben noch zwei Räumlichkeiten: in Spandau und Marienfelde, wo es Angebote für Kinder, für Jugendliche und für Erwachsene gibt." Es ist ein Ausblick.
Alltagsprobleme
Mitten im Gespräch wird es plötzlich hektisch: Dringende Termine im Rathaus Friedenau und in einer Notunterkunft rufen. Es gehört zum Alltag, unterwegs sein, dort, wo man gerade gebraucht wird. Während einige Lotsen zu den Außeneinsätzen aufbrechen, hat im Nebenzimmer bereits die Beratung begonnen.
Im Flur sitzt ein wartender Kunde. "Wie geht es der Tochter?", fragt Mohannad. "Gut!", lächelt der junge Vater. Noch vor Kurzem, erzählt Neu, sei er ob des kritischen Zustandes des Fötus im Verein in Tränen ausgebrochen. Heute geht es zum Glück nicht um ein lebensbedrohliches Problem: Weder Jugendamt noch Jobcenter wollen für das Kindergeld der Neugeborenen zuständig sein. Mohannad muss persönlich vorsprechen. Ein typischer Fall.
Es wird heute noch um Wohngeld, Beschäftigungsmaßnahmen und Geburtsurkunden gehen, zwischen den Zeilen um Kultur und ein bisschen darum, das alles zu verstehen.
Autor:Josephine Macfoy aus Schöneberg |
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