Experten diskutieren über Wandel in der Potsdamer Straße
Vor zehn Jahren drohte der Potsdamer Straße der Niedergang. Der „Tagesspiegel“ zog weg. Läden standen leer. Dann kamen die Galerien und mit ihnen hat die Straße eine neue Entwicklung genommen.
Sie weckt allerdings Ängste vor Gentrifizierung, der Verdrängung des Vertrauten. In einer Podiumsdiskussion in der „Zwitschermaschine“, Potsdamer Straße 161, einem Projektraum für Ausstellungen, Lesungen und Konzerte, gingen unlängst Bezirksvertreter und Kiezkenner der Frage nach, ob Kunst oder Handel die treibende Kraft der Quartiersentwicklung sei und wie die Kunst- und Kulturszene das Gebiet verändert.
Die Potsdamer Straße sei als Mischgebiet angelegt, sagt Stadtentwicklungsstadtrat Jörn Oltmann (Grüne). Hier träfen sich Kunst, Gewerbe, Wohnen und auch Institutionen wie ein Boxclub. Preistreiberei bei Gewerbemieten könne er noch nicht feststellen, so der Stadtrat weiter.
Den größtmöglichen Einfluss beim Wandel habe die öffentliche Hand über Bebauungspläne für Neubauten, sagte Oltmann. Steuernd eingreifen könne man nur über die städtischen Wohnungsbaugesellschaften und über Appelle an die Hauseigentümer, ergänzt Martina Marijnissen von der Wirtschaftsförderung des Bezirksamts. „Aber an die ist schwer ranzukommen.“
Georg Strecker, Geschäftsführer des Varieté-Theaters „Wintergarten“, sieht den „Gentrifizierungsmechanismus“ schon am Werk. Erst kämen die „Unpassenden“, dann die Baden-Württemberger, „die Pittoreskes toll finden“, und schließlich sei das Pittoreske weg, so der aus Hessen stammende gelernte Sport-, Latein- und Englischlehrer. Das sei „ausgemachter Blödsinn“, erwidert Stadtrat Jörn Oltmann. Berlin sei die Stadt der Eingewanderten. Diesen Mix gelte es zu erhalten.
Vom „Begleiten und Moderieren“ spricht Mateusz Hartwich von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin. Hartwich prognostiziert eine ähnliche Entwicklung der Potsdamer Straße wie seinerzeit am Hackeschen Markt, wo das Alte zur Gänze verschwunden sei. Gleichzeitig ist für den IHK-Repräsentanten Veränderung nichts Negatives. „Das müssen wir zulassen. Das bringt frisches Blut in den Kiez.“ Denn bei der rasanten Entwicklung des Handels könne sich der Prozess auch rasch umkehren, ein Leerstand wie vor einem Jahrzehnt schnell wiederkehren. Daher Hartwichs Bitte: Bestimmte Branchen, wie zum Beispiel Galerien, nicht hinausekeln. Es müsse beides geben: Kunst und Handel.
Kunst und Handel? Für einen Vertreter des Vereins „Die kulturellen Erben“, der mit Jugendlichen aus dem Kiez die lokale Hip-Hop-Kultur pflegt, ist das neue Urban Nation-Museum in der Bülowstraße ein wahres Menetekel. Das Museum sei eine getarnte Verkaufsgalerie, so der Vereinsvertreter. Es seien Millionen in ein Gebäude gesteckt worden, um das Gebiet „aufzuhübschen“.
Alexander S. Wolf, Geschäftsführer der Gewobag-Stiftung Berliner Leben, Trägerin des Museums, gesteht ein, dass die Wohnungsbaugesellschaft und die Stiftung bei der Schaffung des Museums „die Leute, die drumherum leben, und die regionale Kultur vergessen haben“. Aber Kunst könne an unwirtlichen Orten „Verweilqualität“ bringen. Daher werden noch andere Gewobag-Gebäude in der Bülowstraße künstlerischen und kulturellen Zwecken zugeführt. Wolf verweist auf den „Pakt“ von städtischen Wohnungsbaugesellschaften und Senat, damit Mieten in den kommenden zwei Jahren nicht steigen.
Autor:Karen Noetzel aus Schöneberg |
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