Der Insulaner verliert die Ruhe nicht!
Stadtspaziergang in eine Gegend mit etlichen Kuppeln
Vor 100 Jahren kamen auf einen Schlag 80 000 Steglitzer nach Berlin, ganz ohne Reisegepäck. Das war auch nicht nötig, denn die mächtig wachsende südwestliche Vorortgemeinde, damals größtes Dorf Preußens, war samt umliegender Orte über Nacht zu Groß-Berlin eingemeindet worden. Als 12. von 14 neuen äußeren Stadtbezirken.
Es lohnt sich, zu diesem 100-Jahre-Jubiläum einen Frühlingsausflug nach Steglitz einzuplanen, diesmal ganz individuell.
Zu den Mitbringseln des neuen Stadtbezirks gehörte vor 100 Jahren das damals fast neue Bismarckviertel. Straßen wie Plätze sind hier nach Lebensorten des Eisernen Kanzlers und auch nach einigen seiner Vertrauten benannt, solide mit viergeschossigen Wohnhäusern samt grüner Block-Innenhöfe bebaut. Der Friedrichsruher Platz am Südrand heißt nach Bismarcks Alterssitz, dem Jagdschloß im Sachsenwald, Kreis Herzogtum Lauenburg. Auf dem Platz steht die 1919 geweihte Lukaskirche, ein Kriegsbau. Mit Außenmauern aus behauenen dunklen Granitfindlingen und einem mächtigen kreisrunden Turm wirkt sie samt ihrer schweren Portale mit Kreuzeszeichen auch heute noch wie ein trutziger Gemeinde-Zufluchtsort in unsicheren Zeiten.
Wussten Sie, dass sich die Ortslage hier auf einer Folge eiszeitlicher Sandhügel erstreckt? Die „Rauhen Berge“, die sich, einst unbebaut, bis 20 Meter über die Teltowkanal-Tallage erheben, sind etwa 55 Meter hoch! Nebenan zieht sich die Bergstraße rund zwei Kilometer nach Osten. Hier fuhr einer der weltweit ersten Oberleitungsbusse, der „Gleislobus“ entlang – im Regelbetrieb – bis zur Kupferkabel-Demontage Anfang des Ersten Weltkriegs. Die Gemeinde Steglitz hatte sich ab 1911 die Fahrzeuge in der Marienfelder Daimler-Fabrik bauen lassen, wo sie mit kräftigen elektrischen Porsche-Radnabenmotoren ausgestattet wurden.
Gleich hinter der Bezirksgrenze ragt auf Schönebergs Südgelände der 78-Meter-Trümmerberg empor. Ihn gibt es seit Blockade-Zeiten, als beim Sender Rias das Funk-Kabarett “Die Insulaner“ frühe Erfolge feierte. Dessen vielgesungenes Insulaner-Lied wurde legendär.
Die Wilhelm-Forster-Sternwarte krönt den Hügel seit den Sechzigern, als die Gegend noch abseits von Großstadtlichtern lag. Sie ist seitdem auch höchstgelegene aktive Sternwarte Berlins. Am Fuß des Insulaners entstand wenig später das nunmehr älteste Planetarium der Stadt mit seiner klassisch-optischen Projektion.
Weitaus mehr als anderswo bestimmen hier in Schönebergs Südwestecke wie auch nebenan im Steglitzer Osten Dachkuppeln die aufgelockerte Stadtlandschaft. Allein der Insulaner zählt fünf größere und kleinere glänzende Aluminium-Kuppeln, dazu eine gläserne. Nördlich davon leuchtet vom grünen Alt-Gelände des Rangierbahnhofs Tempelhof rostrot der 50 Meter hohe, in strenger Stahl-Ästhetik erbaute Eisenbahn-Wasserturm mit seinem riesigen Kugelkessel herüber, von dem einst blitzschnell die Dampflocks befüllt werden konnten. Er wurde während der Expo 2000 zum Wahrzeichen der Renaturierung ehemaliger Industrie-Verkehrsflächen in Berlin. Die von außen so schroff wirkende Lukaskirche besitzt im Basisgeschoß des runden 57-Meter-Kirchturms eine prächtige Rundhalle. Deren gewaltige Innenkuppel zeigt kostbare feine Mosaiken im späten Art Deco Stil. Es sind sehr weiblich wirkende überirdisch schöne stehende Engelsgestalten vor goldenem Himmelsgewölbe. Ein Heldengedenken für die Steglitzer, die in den fürchterlichen Maschinenschlachten und Gasangriffen des Ersten Weltkriegs umgekommenen sind.
Südlich, mit Adresse Bergstraße 38, ist auf den Rauhen Bergen der Wasserturm Steglitz als Solitär errichtet worden, oberhalb des damaligen kleineren Gemeindefriedhofs. Als massiver Bau im Stil des Ziegel-Expressionismus, 42 Meter hoch und mit einen kuppelartigen Dach, wurde er zum Wahrzeichen des Stadtteils, ebenfalls 1919 fertiggestellt. Seit 20 Jahren residiert hier ein medizinischer Fachverlag. Da Steglitz sein Wasser bald von Berlin bezog, diente der Turm nie dem ursprünglichen Zweck, war immer wieder umgebaut worden.
Planetarium am Insulaner, Munsterdamm 1 (S 26 bis Bhf. Südende, Fußweg 560 m); Lukaskirche Friedrisruher Platz 1 (S 26 bis Bhf. Priesterweg, Bus 170 bis Bismarckstr./Bergstraße, Fußweg 250 m).
Autor:Bernd S. Meyer aus Mitte |
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