„Man wusste, dass Unrecht geschah“
Fünf neue Stolpersteine in der Kieler Straße verlegt
Fünf neue Stolpersteine aus Messing glänzen seit dem 12. Juli in der Kieler Straße vor der Hausnummer 5. Die quadratischen Steine erinnern an das Ehepaar Graber und ihren Sohn sowie an Cäcilie Michel und Selma Braun. Alle fünf wurden unter der Nazi-Herrschaft in Konzentrationslager deportiert und ermordet.
Der Gemeinderaum der Rosenkranz-Basilika in der Kieler Straße war gut gefüllt. Rund 60 Menschen waren der Einladung der Stolperstein-Initiative Friedenau zu einer Gedenkfeier gefolgt, die sich der Gedenkminute vor der Kieler Straße 5 anschloss, um mehr über die Lebenswege der fünf Ermordeten zu erfahren. „Auf den Stolpersteinen sind nur die Namen, Geburtsjahre und das Datum ihrer Deportation und ihrer Ermordung zu lesen. Mehr Platz ist nicht“, sagte Petra T. Fritsche, die seit zehn Jahren die Verlegung von Stolpersteinen in ganz Berlin initiiert und zum Teil auch finanziert.
„Ein Mensch, dessen Name vergessen wird, stirbt ein zweites Mal“
Im Vorfeld der Stolpersteinverlegung begab sie sich auf die Spurensuche der Lebensläufe und recherchierte dazu in alten Akten und Archiven. „Es ist oft nicht viel, was wir herausfinden, und es bleibt vieles im Dunkeln“, sagt sie. Aber die Erinnerung an diese Menschen sei wichtig, denn „ein Mensch, dessen Name vergessen wird, stirbt ein zweites Mal.“
So erfahren die Gäste der Gedenkfeier die Geschichte der Familie Graber. Josef Graber führte eine Strumpfstrickerei und später ein Strumpfgeschäft in der Albrechtstraße 118. Mit seiner Frau Hadassa, geborene Altschüler, wohnte er in der Kieler Straße 5. Der 1918 geborene Sohn Samuel wuchs in Steglitz auf. Am 2. April 1942 wurde die Familie abgeholt und nach Warschau deportiert und dort ermordet. Sie waren 57, 51 und 24 Jahre alt.
Selma Braun, geborene Alexander, wurde am 19. Januar 1941 nach Riga verschleppt und dort ermordet. Das Todesdatum ist nicht bekannt. Sie wurde 59 Jahre alt.
Cäcilie Michel, geborene Kronenberg, wurde am 26. Oktober nach Riga deportiert und dort, im Alter von 66 Jahren, am 29. Oktober umgebracht. Cäcilie Michel wohnte als Untermieterin bei der Familie Graber, weil sie aus ihrer eigenen Wohnung verwiesen wurde.
Viele jüdische Menschen wurden aus ihren Wohnungen verwiesen und wurden zur Untermiete bei jüdischen Familien gezwungen, denn der nationalsozialistische Rassenwahn regelte auch die Mietverhältnisse. Das Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden, das 1939 verabschiedet wurde, änderte den gesetzlichen Mieterschutz zu Lasten jüdischer Mieter und Vermieter. Jüdische Mieter mussten ausgebombten nichtjüdischen Familien Platz machen und wurden in sogenannten „Judenhäusern“ untergebracht.
„Es ist bedrückend, dass im Schatten dieser riesigen Kirche dieses Unrecht geschah“, sagte Andrej Desczyk, Pfarrer der katholischen Pfarrgemeinde Maria Rosenkranzkönigin. Unrecht, das niemand bemerkt haben wollte. „Aber wenn man sieht, dass aus einem Haus Menschen verschwinden und nachts mit Koffern das Haus verlassen, dann konnte man wissen, dass Unrecht geschah“, ist Desczyk überzeugt. Er betonte, dass auch heute wieder Unrecht geschieht und zwar täglich. Er mahnte, nicht wegzusehen, wenn Menschen ausgegrenzt oder bedroht werden, nur weil sie einer anderen Religion oder fremden Kultur angehören.
Autor:Karla Rabe aus Steglitz |
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