Heimat ist ein Gefühl der Geborgenheit und der Erinnerungen
Steglitz. Michael Lorenz ist im Kiez Munsterdamm, Kottesteig aufgewachsen. Er sagt, er kennt hier jeden Stein und jeden Baum. Und tatsächlich. Bei einem gemeinsamen Spaziergang durch seinen Kiez weiß er zu beinahe jedem Baum, jedem Ort eine Geschichte zu erzählen. Geschichten von seiner Heimat.
Am Treffpunkt Munsterdamm, Ecke Kottesteig, packt Michael Lorenz erst einmal alte Fotos aus: Munsterdamm und Kottesteig um 1955. Nichts deutet auf die heutige verkehrsreiche Straße hin. Der Munsterdamm, von den Häuserblocks aus den 1930er-Jahren gesäumt, war ein Schuttweg mit sogenannter Hundepromenade. Autos gab es kaum. Dort wo heute der Parkplatz für das Sommerbad am Insulaner beginnt, endete die Straße. „Dahinter war braches Land, die ,Rauhen Berge'. Ein herrliches Gelände zum Toben und Spielen“, erinnert sich der heute 67-Jährige, der 1948 im Munsterdamm 36 geboren wurde. „Das ist meine Heimat – so wie ich sie heute noch liebe“, schwärmt er und fügt hinzu: „Ich kenne hier immer noch jeden Stein und jeden Baum.“
Am Kottesteig deutet er auf das Grundstück zwischen den Wohnblocks. „Hier war ein riesengroßer Garten und es gab das beste Obst überhaupt.“ Dort, wo er als Junge saftige Birnen geklaut hatte, steht heute ein Neubau.
Am Kottesteig war damals der Treff für alle Freunde aus dem Kiez. „Wir waren 15 Mädchen und Jungs und haben viel Zeit miteinander verbracht, trotz unterschiedlichen Alters.“ Ein paar Meter weiter, unmittelbar vor dem Geburtshaus von Michael Lorenz ist ein kleiner Spielplatz mit Wippe, Schaukeln, Klettergerüst. Das gab es früher noch nicht, aber ein Platz zum Spielen war hier schon immer. „Hier haben wir oft Halli-Hallo und Hopse gespielt“, erzählt Lorenz. Meistens jedoch ging es auf Erkundungstour durch das Gelände, dass noch Jahre nach dem Krieg an eine Wildnis erinnerte.
Ein bisschen wild ist es hinter dem Sommerbad immer noch. Der kleine Weg vom Munsterdamm zum Oehlertring wird gesäumt von Sträuchern und uralten Bäumen. „Wenn die Geschichten erzählen könnten“, sagt Lorenz schmunzelnd und gibt selbst eine zum Besten: Unter einem der Baumriesen hätte er seinen ersten Liebesbrief vergraben. „Ich war damals zwölf und meine Angebetete hieß Diane. Alle Jungs waren in sie verliebt.“
Der Spaziergang geht weiter durch den Jochen-Klepper-Park und Erinnerungen an ein „Liebesnest“ in einer Ruine werden wach. Der geheime Ort wurde streng bewacht. Hinein kam nur, wer den vereinbarten Pfiff kannte.
Der Jochen-Klepper-Park grenzt an die Sembritzkistraße. Hier lebt Michael Lorenz heute mit seiner Frau. Obwohl er nach seiner Heirat 1978 zunächst nach Rudow zog, blieb er seinem Heimatkiez weiter treu. „Jedes Wochenende bin ich nach Steglitz gefahren. Das brauchte ich. Ich bin durch den Kiez gelaufen, habe die Augen geschlossen und die Atmosphäre eingeatmet. Die Erinnerungen kamen hoch und da waren wieder die Gerüche, Düfte und Geräusche von damals – es war wie nach Hause kommen.“
Nach einem Herzinfarkt Anfang der 1980er-Jahre zogen Michael Lorenz und seine Frau in die Sembritzkistraße. Hier in seinem alten Kiez fand er neuen Lebensmut. „Das ist mein Zuhause. Hier möchte ich nie wieder weg“, sagt er.
Woher seine große Verbundenheit und das starke Heimatgefühl für seinen Kiez kommt, kann sich Lorenz nicht so richtig erklären. „Wahrscheinlich bin ich einfach sehr sentimental“.
Heimat ist für ihn ein Gefühl der Geborgenheit und der schönen Erinnerungen. „Daraus schöpfe ich Kraft, Sorgen geraten einen Moment lang in Vergessenheit“, erklärt Michael Lorenz. Dazugehört aber auch die Verbundenheit und der gute Kontakt zu den Nachbarn. Beides vermittelt ihm ein Heimatgefühl. „Man kennt sich, redet miteinander und hilft sich – auch das ist Heimat für mich.“ KM
Autor:Karla Rabe aus Steglitz |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.