"Die Arbeit war mein Leben“
Änderungsschneiderei von Claudia Biernoth war eine Institution im Kiez

Claudia Biernoth lässt auch in ihrem Ruhestand die Nähmaschine rattern.  | Foto:  K. Rabe
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44 Jahre führte Claudia Biernoth eine kleine Änderungsschneiderei in Steglitz. Sie kürzte, änderte und reparierte Hosen, Röcke, Kleider und mehr für die Menschen im Kiez und hatte immer ein offenes Ohr für ihre Kunden. In diesem Jahr hat sie sich schweren Herzens in den Ruhestand verabschiedet.

Nähen, Schneidern, kreativ sein – das war für die heute 72-Jährige das Größte. „Das Nähen hat mich schon seit meiner Kindheit begeistert. Ich habe immer darauf gelauert, dass alte Kleider ausrangiert werden. Ich habe dann Puppenkleider daraus genäht und später auch Sachen für mich“, erinnert sie sich. Ihre leuchtend blauen Augen strahlen, wenn sie in ihren Erinnerungen schwelgt.

Als eins von fünf Kindern hatte sie gelernt, ihre „Frau“ zu stehen. Die Leidenschaft zum Nähen hätte sie offenbar geerbt, sagt sie. „Schon meine Urgroßmutter war Schneiderin in Kreuzberg, meine Oma arbeitete als Putzmacherin und auch meine Mutter hatte immer für uns Kinder genäht“, erzählt Claudia Biernoth. Dass sie später als Schneiderin oder Dekorateurin ihr eigenes Geld verdienen wird, stand für sie schon früh fest.

Viele Jahre in Heimarbeit genäht

Bevor sie ihre erste eigene Änderungsschneiderei eröffnete, arbeitete sie nach ihrer Ausbildung zur Schneiderin für Damenbekleidung viele Jahre in Heimarbeit, um als alleinerziehende Mutter ihre Tochter betreuen zu können.

Durch Zufall entdeckte sie 1978 einen leerstehenden Laden an der Birkbuschstraße und eröffnete am 18. Dezember desselben Jahres ihre erste eigene Werkstatt. Der Standort war ideal. Vor der Tür hielt der Bus in Richtung Schloßstraße. Das brachte ihr gleich von Anfang an viele Kunden. Obwohl die Konkurrenz groß war und es jede Menge Änderungsschneidereien in der Umgebung gab, profitierte sie davon, eine Frau zu sein. „Die meisten Schneidereien wurden von türkischen Männern geführt. Bei bestimmten Anfertigungen wollten vor allem Kundinnen lieber von einer Frau bedient werden.“ Aber auch durch ihre offene und herzliche Art wurde ihr kleiner und mit viel Liebe zum Detail eingerichteter Laden zu einer Institution im Kiez. Dennoch ist sie nach 22 Jahren umgezogen. „Es war mir einfach zu viel Lärm an der Birkbuschstraße.“

Treue Kunden

Der neue Laden befand sich in der wesentlich ruhigeren Gegend an der Stephanstraße. Außerdem lag er schräg gegenüber von ihrer Wohnung. So huschte sie auch mal an Wochenenden rüber in ihr Geschäft – wenn ihr zuhause langweillig war. „Anfangs hatte ich Angst, dass die Kundschaft wegbleibt“, sagt Biernoth. Doch diese Angst war unbegründet. „Die Stephanstraße war vor 20 Jahren noch ein richtiger Kiez. Es gab viele kleine Läden, die meisten Kunden waren Stammkunden“, erinnert sich Claudia Biernoth. Auch im neuen Kiez hatte sie bald einen festen Stamm von treuen Kunden. Die Leute kamen nicht nur, um sich die Hosen kürzen, Rocke säumen oder Sachen ausbessern zu lassen. Claudia Biernoth hatte auch immer ein offenes Ohr für die Probleme ihrer Kunden. Sie hat viele Geschichten gehört – über Glücksmomente oder Schicksalsschläge. Diesen enge Kontakt zu den Nachbarn vermisst sie heute am meisten. „Man kannte sich und hatte das Gefühl, gebraucht zu werden. Das war eine tolle Nachbarschaft“, sagt sie.

Claudia Biernoth hat nicht nur ihren Laden aufgeben müssen, sie hat auch ihren Wohnort gewechselt und lebt jetzt in Marienfelde. In ihrer hübschen Wohnung hat sie heute ihre kleine Nähecke und näht für sich und ihre Familie. Zu einigen ihrer ehemaligen Kunden pflegt sie heute noch Kontakt. Es sei eine schöne Zeit gewesen. Auch wenn sie in den letzten Jahren zunehmend Rückenprobleme plagten und sie kürzer treten musste, hatte sie immer großen Spaß an der Arbeit. „Ich habe meinen Laden mit Herzblut geführt. Arbeit, Geschäft, nette Nachbarn und treue Kunden – das alles war mein Leben“, sagt sie.

Autor:

Karla Rabe aus Steglitz

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