Gegenwart und Zukunft der Begräbniskultur
Evangelischer Friedhofsverband Stadtmitte feiert zehnjähriges Bestehen
Friedhöfe sind letzte Ruhestätten für Tote. Aber auch Parks, Erholungsräume, Biotope. Und damit auch Orte mit viel Leben.
"Es stünde nicht schlecht, wenn es in unserer Kirche überall so lebendig zugehen würde, wie auf den Friedhöfen", sagte Jörg Machel, ehemaliger Pfarrer der Emmaus-Ölberggemeinde bei der Feierstunde zum zehnjährigen Bestehen des evangelischen Friedhofsverbandes Berlin-Stadtmitte.
Sie fand am 1. Februar in der Heilig-Kreuz-Kirche an der Zossener Straße statt. Der Verband verwaltet inzwischen 46 Friedhöfe. Wie der Name schon andeutet, vor allem in den Berliner Innenstadtbezirken. Darunter auch die in Friedrichshain-Kreuzberg, vor dem Halleschen Tor, an der Bergmannstraße, zwischen Friedenstraße und Landsberger Allee und an der Boxhagener Straße. Seine Geschäftsstelle befindet sich am Südstern.
Kirchengemeinden waren überfordert
Anlass für seine Gründung war eine Notlage. Viele Friedhöfe verfielen. Die Kirchengemeinden waren mit der Verwaltung überfordert. Vor allem, weil sich die Begräbniskultur in den vergangenen Jahrzehnten verändert hat. Von Erdgräbern zu Urnenbestattungen bis hin zu Urnenschränken oder Feldern für Massenbestattungen. Oft auch anonym. Das führte zu zwei Konsequenzen: Die Einnahmen gingen zurück, weil sich auch die letzte Wohnung nach Art und Größe bemisst. Was fehlende Kostendeckung zur Folge hatte. Außerdem führte das zu massivem Platzüberhang. Rund die Hälfte der heutigen Berliner Friedhofsflächen werden eigentlich für ihren ursprünglichen Zweck nicht mehr gebraucht.
Aus dieser Situation entstand der Friedhofsverband, schon allein, um dadurch Kräfte zu bündeln. Sein weiteres Ziel war und ist der Erhalt beziehungsweise die Restauration des Bestehenden, gleichzeitig aber die Suche nach neuen Ideen und Nutzungen, um auch dadurch die Zukunft der Friedhöfe zu sichern.
Dieser Auftrag sei in den vergangenen zehn Jahren erfolgreich ausgeführt worden, resümierte Pfarrer Jürgen Quandt. Er war seit Beginn Geschäftsführer und gab diese Aufgabe beim Jubiläum ab. Aber es gelte, sich weiter den Herausforderungen zu stellen.
Verfall gestoppt
Die Finanzen seien in Ordnung gebracht, der Verfall gestoppt worden. Gräber oder Mausoleen wurden wieder hergestellt, oft auch mit Hilfe von Fördermitteln oder privaten Spendern. Es gibt inzwischen museale Erinnerungsstätten, wie etwa an die Familie Mendelssohn auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor, oder Friedhofcafés wie an der Bergmannstraße.
Was im Sinne der christlichen Begräbniskultur an so einen Ort passe, darüber sollte nachgedacht werden, warb nicht nur der scheidende Geschäftsführer für den offenen Blick nach vorne. Laut Evangelium sei der Tod nicht Ende, sondern Anfang, war auch die Quintessenz des Festvortrags von Propst Christian Stäblein. Stichwort neues Leben. Ganz profan bedeutet das, nicht mehr benötigte Flächen können und sollen auch anderweitig genutzt werden. Was nicht nur in Form von Gastronomie schon jetzt passiert. Auf Friedhöfen sind Bienenstaaten zu Hause, sie mutieren zu Naturerfahrungsräumen. In der ehemaligen Begräbniskapelle an der Boxhagener Straße wird Theater gespielt und mancherorts entstehen auf Friedhöfen sogar neue Wohnungen, wie entlang der Landsberger Allee.
Auch die sehen Jürgen Quandt oder andere Kirchenvertreter durch die christliche Botschaft, vor allem ihrem Postulat der Nächstenliebe, gedeckt. Solche Vorhaben würden zusammen mit Baugruppen, Genossenschaften, sprich normalen Bürgern mit dem Wunsch nach einem Zuhause, entwickelt und wären schon deshalb jenseits von Immobilienspekulation. Dazu würden auf den Friedhöfen auch Grundstücke zum Bau von Flüchtlingswohnungen angeboten, zum Beispiel entlang der Jüterboger Straße. Dort machten aber zunächst "besorgte Bürger" dagegen mobil. Dann gab es Einwände vom Denkmalschutz.
Natürlich dient diese Zweckentfremdung auch dazu, den Friedhofsverband im finanziellen Gleichgewicht zu halten, damit er insgesamt seine Aufgabe erfüllen kann, die Friedhöfe als besonderen Ort der Stadtgeschichte zu bewahren und – bei allem Hang zum Outsourcen des Todes – sie am Leben zu halten. Gerne mit mehr Unterstützung der öffentlichen Hand. Denn, so beklagte Jürgen Quandt, deren Bürokratie und Bedenken würden manche Idee bremsen. Worauf Ute Herdmann von der Senatskulturverwaltung für Kultur und Europa nicht weiter einging, dafür aber den Verband als wichtigen Akteur und Gesprächspartner bezeichnete und ebenso wie Christian Stäblein auch den diesseitigen Bezug herstellte: Friedhöfe als beliebtes Ziel für Spaziergänge, bei deren Gang entlang der Gräber manches Vergangene sichtbar werde. Als Ort, der gesellschaftliche und demographische Veränderungen widerspiegle. Ein Erholungsraum mitten in der Stadt und ohne Autos. Namen auf Grabsteinen, die für ein Leben stehen.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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