Inge Meysel, Jurek Becker, Rio Reiser
Viele Vorschläge für Personengedenken im öffentlichen Raum
Nach ihnen sollen Straßen oder Plätze benannt werden, Tafeln beziehungsweise andere Gedenkzeichen an sie erinnern. Es geht um eine sichtbare Würdigung bekannter Persönlichkeiten.
Die Liste ist inzwischen ziemlich lang. Wer hat welchen Namen und warum vorgeschlagen? Wo liegt der Bezug zum Bezirk? Und wie ist der jeweilige Entscheidungsstand? Einige Beispiele.
Inge Meysel (1910-2004) Schauspielerin. Vorschlag von: Sarah Jermutus und Pascal Striebel (Bündnis90/Grüne). Gewünschte Ehrung: Die bisher namenlose Verbindung zwischen Koppenstraße und Straße der Pariser Kommune beziehungsweise Franz-Mehring-Platz soll nach Inge Meysel benannt werden. Begründung: Sie lebte ab 1914 in der Kadiner Straße 2. Hervorgehoben wird außerdem das gesellschaftliche Engagement der Schauspielerin. Als sogenannte "Halbjüdin" hatte sie in der Nazizeit Auftrittsverbot. In der Bundesrepublik stritt Inge Meysel für die Abschaffung des Paragrafen 218, Rechte von Homosexuellen und engagierte sich in der Frauenbewegung. Wie weiter: Der Antrag sollte am 17. Oktober in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) eingebracht werden, wurde aber zunächst vertagt. Wiedervorlage am 28. November.
Heiner Müller (1929-1995) Dramatiker. Initiatorin: Peggy Hochstätter (SPD). Vorgeschlagen wird eine Gedenktafel am Haus Muskauer Straße 24. Hintergrund: Heiner Müller hat die letzten Jahre vor seinem Tod dort gewohnt. Aktueller Stand: Der Antrag ging an den Kulturausschuss.
Johann Rukeli Trollmann (1907-1944) Sinto-deutscher Boxer. Von den Nazis ermordet. Eingereicht von: Frank Vollmert (SPD). Würdigung: eine Gedenktafel am historischen Ort in der Fidicinstraße 2. Die Geschichte: Auf dem Gelände der ehemaligen Bockbrauerei gewann Johann Trollmann am 9. Juni 1933 die deutsche Meisterschaft im Halbschwergewicht. Wegen seiner "nicht-arischen" Herkunft wurde ihm der Titel wenige Tage später aberkannt. Beim Kampf um die Meisterschaft im Weltergewicht am 21. Juli 1933 an gleicher Stelle hatte Trollmann als Zeichen des Protests gegen die Rassenpolitk der Machthaber seine Haare blond gefärbt und die Haut weiß gepudert. An die beiden Ereignisse soll die Tafel erinnern. Umsetzung: In Zusammenarbeit mit der historischen Kommission zu Berlin, der Senatsverwaltung für Kultur und dem heutigen Besitzer des Bockbrauereigeländes sei "zu prüfen", ob Johann Trollmann auf diese Weise gedacht werden kann. BVV-Beschluss am 17. Oktober.
Rio Reiser (1952-1996) Musiker, Sänger der Band Ton Steine Scherben, später erfolgreich als Solist ("König von Deutschland"). Antragsteller: Oliver Nöll (Die Linke). Antrag: Umbenennen eines Teils des Mariannenplatzes oder des Heinrichplatzes in Rio-Reiser-Platz. Auch ein Denkmal oder eine Gedenkinstallation soll in Betracht gezogen, die verschiedene Vorschläge öffentlich vorgestellt und diskutiert werden. Lokaler Bezug: Rio Reiser und Ton Steine Scherben lieferten den Soundtrack zu den Auseinandersetzungen im Kreuzberg der 1970er-Jahre. Die Bandmitglieder wohnten bis 1974 am Tempelhofer Ufer 32, wo 2013 eine Gedenktafel angebracht wurde. Antrag mit großer Mehrheit im September angenommen – trotz des "falschen" Geschlechts von Rio Reiser. Denn eigentlich sollen in Friedrichshain-Kreuzberg Straßen oder Plätze ausschließlich nach Frauen neu benannt werden. Weil Rio Reiser aber offen schwul lebte, stehe er ebenfalls für eine lange diskriminierte Personengruppe.
Jurek Becker (1937-1997)Schriftsteller ("Jakob der Lügner"). Gewürdigt wissen will ihn Timur Husein (CDU). Gewünscht wird eine Gedenktafel am Ensemble Riehmers Hofgarten. Warum? Von 1980 bis 1994 wohnte Jurek Becker dort in der Hagelberger Straße 10c. Weiterer Lokalkolorit: Er verfasste die meisten Drehbücher für die TV-Serie "Liebling Kreuzberg". Darüber hinaus seine Biografie. Nahezu seine gesamte Familie wurde im Holocaust ermordet. In der DDR wurde Jurek Becker vom ursprünglichen Anhänger zum späteren Dissidenten. Bisheriger Stand: noch in der Beratungsschleife
Kurt Eisner (1867-1919) Politiker (SPD, dann USPD) und Schriftsteller. Am Ende des Ersten Weltkriegs Vorsitzender des Münchener Arbeiter- und Soldatenrats und bayerischer Ministerpräsident. Am 21. Februar 1919 von einem Rechtsradikalen ermordet. Initiator der Ehrung: Lothar Jösting-Schüßler (Linke). Lokale Spuren: Kurt Eisner lebte während seiner Kindheit und Jugend größtenteils in der damaligen Teltowstraße, seit 1936 Obentrautstraße. Gedenkidee: eine Erinnerung "in geeigneter Weise – vermutlich mit einer Tafel" an einem seiner Wohnorte in der heutigen Obentrautstraße 51 oder 53. Das sollte spätestens bis zum 21. Februar 2019 passieren, dem 100.Todestag von Kurt Eisner. Aktueller Beratungsstand: im Kulturausschuss.
Maria Gräfin von Maltzan (1909-1997) Tierärztin, Widerstandskämpferin. Gemeinsames Anliegen von: Pascal Streibel (Grüne), Tessa Mollenhauer-Koch (SPD), Elke Dangeleit (Linke). Vorgeschlagene Würdigung: Benennung des "Bullenwinkels" am westlichen Ende der Naunynstraße nach Maria von Maltzan. Argumente: Maria von Maltzan betrieb in der Gegend lange Zeit eine Tierarztpraxis. Zweitens: ihr mutiger Einsatz während der Nazizeit. Sie hat zahlreichen Menschen das Leben gerettet. Unter anderem dadurch, dass sie Verfolgte in ihrer Wohnung versteckte. Drittens: ihre unkonventionelles und von Höhen und Tiefen durchzogenes Leben. Viertens: ihr früher erster Aufenthalt in Kreuzberg als Absolventin der einstigen Elisabeth-Schule in der Kochstraße. Wie stehen die Chancen? Im Juni entschied die BVV: Das Bezirksamt soll ein Diskussions- und Beteiligungsverfahren zur Namensgebung starten. Besonders dafür geeignet: Maria von Maltzan. Ein langer Weg Der Ursprung für manche Namensvorschläge liegt bisweilen auch bei Privatpersonen oder Initiativen. Sie sind in der nebenstehenden Aufzählung nicht berücksichtigt, sondern immer die Fraktionen beziehungsweise ihre Mitglieder, die sich dafür stark machen.
Vom ersten Vorschlag bis zu einem Beschluss ist es in der Regel ein langer Weg. Der Antrag landet zunächst im Kulturausschuss. Der verweist ihn danach, nahezu durchgehend, an die Gedenktafelkommission. Vor allem dieses Gremium überprüft, ob das Anliegen machbar, die Person einer solchen Erinnerung würdig ist. Ihr Postulat geht dann wieder zurück an den Ausschuss und abschließend in die BVV.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.