Sichtbare Beziehungsstörungen
In der Bezirkspolitik gab es zuletzt einige Auseinandersetzungen
Hat der Stadtrat gerade den Vogel gezeigt? Die sich von dieser Geste brüskierte SPD-Fraktion sah das so. Der Beschuldigte Florian Schmidt (Bündnis90/Grüne) widersprach. Er habe höchstens zu einem Scheibenwischer-Zeichen angesetzt.
Der Streit um den Vogel, ausgetragen in einer der vergangenen BVV-Sitzungen, mag eine Marginalie sein. Er passt aber ins Bild eines häufig genervten und aggressiven Agierens im Bezirksparlament, gerade auch zwischen den drei Parteien, die eigentlich gemeinsam das Bezirksamt tragen und damit die Politik weitgehend bestimmen – den Grünen, den Linken und der SPD.
Von mangelndem Respekt ist bei manchen die Rede. Linkspartei und Sozialdemokratie reiben sich an grüner Dominanz, die auf ihre Anliegen oft zu wenig Rücksicht nehme. Vertreter der Bündnispartei sehen als Grund für manchen Aufruhr nicht zuletzt den innerparteilichen Zustand ihrer "Koalitionspartner" auf Bundesebene. Wie es um die Sozis stehe, wisse ja jeder. Auch die Linken hätten genug Probleme. Die sollten aber doch bitte nicht in den Bezirk transportiert werden. Aussagen, die manche Angesprochene wiederum als einen weiteren Beweis grüner Überheblichkeit werteten.
Nicht selten ging es auch ins Persönliche, verbunden mit Stilfragen. Etwa beim "Twitter-Gate" Anfang des Jahres. Im Netz gab es damals eine teilweise menschenverachtende Debatte wegen des zugeparkten Fahrradstreifens auf der Tamara-Danz-Straße und dem vermeintlichen Desinteresse des Ordnungsamtes an diesem Problem. Negativer Höhepunkt war ein Tweet, der darüber spekulierte, was passieren würde, wenn der verantwortliche Ordnungsstadtrat Andy Hehmke (SPD) "einen Unfall" hätte. Nicht nur wegen ihrer Gewaltphantasie wurde die Aussage zum Politikum, sondern auch, weil Bürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis90/Grüne) sich an dem Gezwitscher beteiligt hatte, ohne den Verfasser zurechtzuweisen. Das sei kein Ausweis für besondere Kollegialität im Bezirksamt gewesen, wurde ihr danach entgegen gehalten.
"Robin Hood der Mieter" in der Kritik
Auf andere Weise im Visier steht der Baustadtrat Florian Schmidt. Nicht nur wegen des Aufruhrs um seinen angeblichen Vogel. Der müsse ab und zu "vom Baum heruntergeholt werden" und "drehe manchmal ziemlich frei", finden nicht nur Vertreter von SPD und Linken. Und in seinem Verantwortungsbereich laufe auch nicht alles optimal.
Florian Schmidt wurde seit seinem Amtsantritt zu einer Art Shooting-Star nicht nur auf Bezirksebene. Sein Kampf gegen Immobilienspekulation und Verdrängung, Stichwort Vorkaufsrecht, bescherte ihm neben dem Status als "Robin Hood der Mieter" auch bundesweite Berühmtheit, unter anderem durch Talkshow-Auftritte von Plasberg bis Maischberger.
Dass der grüne Stadtrat auf diesem Feld Friedrichshain-Kreuzberg zu einem Vorreiter im Häuserkampf gemacht hat, goutieren auch Mitglieder der beiden anderen "Koalitionsparteien". Nicht allerdings, welchen Habitus er nach mancher Ansicht daraus ableite. Den Niederungen der Bezirkspolitk scheine er inzwischen entrückt zu sein, lautet ein Vorwurf. Festgemacht wird das nicht zuletzt an seinem Verhalten beim Thema Begegnungszone Bergmannstraße. Obwohl die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) mehrheitlich beschlossen hat, die dortige Testphase Ende Juli zu beenden, mache der Stadtrat keine Anstalten, dem nachzukommen. Außer, dass das Projekt mit einem neuen Namen versehen werde. Florian Schmidt verwies unter anderem darauf, dass auch die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz involviert sei ebenso wie auf das bereits ausgegebene Geld und auf eine Bürgerbeteiligung während des Tests
Rot-rot-grüne Visitenkarte
Die Mehrheit im Bezirksparlament fordert dagegen ein Umsetzen ihrer Entscheidung. Dass die in diesem Fall in einem ansonsten eher ungewöhnlichen Zusammenspiel zwischen Linken, SPD, CDU und FDP zustande gekommen ist, sahen die Grünen wiederum als einen ziemlich unfreundlichen Akt. Die Attacken auf den Stadtrat werten sie nicht zuletzt als von Neid geprägt.
"Vielleicht kühlen sich die Gemüter in der Sommerpause etwas ab", hoffte eine Vertreterin der Bündnispartei zu Ferienbeginn. Dass sie an diesem Bündnis festhalten und es auch als eine Art Visitenkarte für das rot-rot-grüne Berlin sehen, daran lassen alle auch jetzt keinen Zweifel. Selbst wenn es sichtbare Beziehungsstörungen gibt. Gleichzeitig ist klar geworden, es handelt sich hier um drei verschiedene Parteien.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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