Ein etwas anderer Jahresrückblick
Zwölf Oscars für zwölf Monate
Es gab Ernstes und Komisches. Gekonnte und missratene Szenen. Einige Produktionen erwiesen sich als Kassenschlager, andere fielen durch. Kurz: Auch 2019 war in Friedrichshain-Kreuzberg filmreif.
Also vergeben wir zwölf Oscars für die vergangenen zwölf Monate. Nicht nur für Tops, auch für einige Flops. Aber immer nach dem Motto: And the winner is ...
Der beste Film: Geht an die inzwischen in Serie laufenden Blockbuster aus der Reihe "Wohnen, Mieten, Vorkaufsrecht". Etwa den Krimi "Die Schlacht um die Karl-Marx-Allee". Ein Happy End wie dort ist allerdings nicht immer garantiert. Die Produktion "Diese hilft" über das Wirken einer Genossenschaft entwickelt sich eher zum Drama.
Beste Comedy: In dieser Kategorie gab es einige Nominierungen. "Diagonalsperren" war gleich zwei Mal, im Samariter- und im Wrangelkiez, im Rennen, musste sich aber der "Begegnungszone Bergmannstraße" geschlagen geben, konkret ihren Parklets, den grünen Punkten auf der Fahrbahn oder den Findlingen an der Marheineke-Markthalle. Manches wurde dort zum Eiertanz. Erst wurde der Abbau gefordert, doch dann die Frage: Was passiert mit den freien Flächen? Eine Menge Realsatire.
Die teuerste Produktion: Heißer Kandidat ist auch hier die Diese-Saga, wobei ein Großteil möglicher Mehrkosten wohl erst im nächsten und in den folgenden Jahren anfallen werden. Für andere Inszenierungen gäbe es dann weniger Mittel im Haushaltsbudget.
Beste Regie: Den Preis gibt es für den Ablauf von Bürgerversammlungen und anderen Beteiligungsmodellen. Dort wird nichts mehr dem Zufall überlassen. Unerwünschtes Protestpotential bekommt durch die Dramaturgie seine Grenzen aufgezeigt. Auseinanderdividieren, Arbeit in Kleingruppen, endlose Workshops, bei denen sich nicht selten die immer gleichen Teilnehmer finden (siehe auch beste Nebendarsteller) – das läuft unter dem Titel "Breite Partizipation". Individuelle anarchische Einlagen haben da kaum noch Platz.
Bester Hauptdarsteller: War einmal mehr Florian Schmidt. Der grüne Baustadtrat spielt (sich) zwar meist in einer Rolle, aber das konsequent: als unermüdlicher Anwalt leidgeprüfter Mieter gegen Spekulanten oder Investoren mit echten oder vermeintlichen unlauteren Absichten. Deshalb ist er auch in allen Vorkauf- und ähnlichen Megasellern als Hauptact besetzt. Allerdings nicht immer als strahlender Held. Vor allem das befürchtete Diese-Debakel könnte einen Karriereknick bedeuten.
Beste Hauptdarstellerin: Wurde posthum Inge Meysel, zu Lebzeiten Schauspielerin. Nach der ehemaligen Friedrichshainerin soll eine bisher namenlose Verbindung zwischen Koppenstraße und Straße der Pariser Kommune benannt werden. Das geschieht in allgemeinem Konsens, schon weil Inge Meysel eine Frau war. Wobei vom femininen Postulat bei Umbenennungen auch abgewichen wird, wenn es politisch opportun erscheint. Wie im Fall Rio Reiser, nach dem künftig der Heinrichplatz heißen soll.
Der Social Media-Award: Den hat sich erneut Bürgermeisterin Monika Herrmann (Bündnis90/Grüne) verdient. Nahezu täglich setzt sie Posts oder Tweets ab. Andere Bezirksamtsmitglieder sind ihr aber inzwischen auf den Fersen. Während der BVV-Sitzungen beschäftigen sich die fünf Damen und Herren bisweilen gleichzeitig mit ihren Smartphones. Dabei gibt es auch weiter ein analoges Leben.
Beste Nebendarsteller: Der Titel gebührt gemeinsam den zahlreichen organisierten Initiativen, die bei jedem größeren Projekt Mitsprache einfordern oder es gleich freiwillig eingeräumt bekommen. Markantes Beispiel ist dafür der Aushandlungsprozess beim Dragonerareal. Aktivitäten, die in das Regiekonzept zu passen scheinen (siehe entsprechender Preis). Wobei häufig zwei Fragen offen bleiben: Im Namen wie vieler "Statisten" agieren diese Gruppen und wer hat sie möglicherweise "gecastet"?
Besonderes Engagement: Mit der Charity-Auszeichnung werden die Bewohner am Strausberger Platz 12 ausgezeichnet. Auch ihr Haus stand zum Verkauf. Als neuen Erwerber suchten die Mieter selbst nach einem "Investor mit Herz", der die Immobilie samt der menschlichen Aktiva übernimmt. Fündig wurden sie bei Michael Kölmel. Der Unternehmer ist vor allem als Filmverleiher ("Kinowelt", "Weltkino") bekannt geworden. Er verspricht zehn Jahre keine Kündigungen und, unabhängig vom Berliner Mietendeckel, kein Erhöhen des Wohnungsentgeldes in den nächsten fünf Jahren. Der Film ist gut angelaufen. Hoffentlich gilt das auch für seine Fortsetzung.
Den Nachwuchspreis: Bekommen die schauspielenden Schülerinnen und Schüler der Kurt-Schumacher-Grundschule für ihre Leistungen im aktuellen Film "Sommernachtskinder". Wenn Kinder für eine Schulproduktion vor die Kamera geholt werden, ist das Ergebnis meist ziemlich bemüht. Ganz anders hier. ein Werk voller Witz und Spaß und trotzdem einer Botschaft. Das stieß auf großes Interesse. Als die "Sommernachtskinder" im Yorck-Kino gezeigt wurden, war der Saal voll besetzt. Obwohl die Vorstellung bei kaltem Wetter an einem Sonntagmorgen stattfand. Deshalb gibt es dafür auch den ...
Publikumspreis. Er geht stellvertretend an Zara Demet Altan, Lehrerin und ausgebildete Regisseurin. Letzteres erklärt die Professionalität ihrer Produktionen. Vor den "Sommernachtskindern" hat sie bereits "Frühlingskinder" mit ihren Schülern gedreht. Beide Filme fanden sogar auf internationalen Festivals Beachtung. Weniger dagegen bei der Friedrichshain-Kreuzberger und Berliner Kulturpolitik. Mit öffentlicher Förderung konnte sie nicht rechnen. Für die "Sommernachtskinder" gab es finanzielle Unterstützung von der Berliner Sparkasse und dem Quartiersmanagement am Mehringplatz. Den Rest der Kosten bezahlte sie selbst.
Lebenswerk. „Wenn die Menschen nur ein bisschen mehr Vertrauen zum gesunden Menschenverstand der anderen hätten“, ließ der Mann einen seiner Protagonisten sagen. Ein Satz, der gut zu manchen Turbulenzen im abgelaufenen Jahr passt. Theodor Fontane hat ihn Dubslav von Stechlin, Hauptperson seines Buchs "Der Stechlin", in den Mund gelegt. Fontane, dessen 200. Geburtstag am 30. Dezember bereits das ganze Jahr 2019 Anlass für viele Gedenkfeiern war, erhält den Ehrenpreis aber nicht nur wegen dieses Jubiläums. Sondern auch, weil er über eine lange Phase seines Lebens in Kreuzberg gewohnt hat. Und nicht nur dort manches erlebte, was heute wieder aktuell ist.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
1 Kommentar
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.