"Ich mache das sonst natürlich nicht"
Unterwegs mit den Waste Watchern
Der Mann ist auf dem Weg zum U-Bahnhof Warschauer Straße. Kurz vor dem Eingang wirft er seine Zigarette auf den Boden. Eine Situation, wie sie in jedem Moment wahrscheinlich viele Male in Friedrichshain-Kreuzberg passiert. In diesem Fall hat sie Konsequenzen.
Zwei Herren, die sich nicht weit davon entfernt postiert hatten, gehen auf ihn zu und zücken ihre Ausweise. "Ordnungsamt Außendienst. Sie haben gerade eine Ordnungswidrigkeit begangen." Der Angesprochene ist doppelt überrascht. Zum einen, weil sein Umgang mit dem Rest von Rauchware bisher keine Beanstandungen nach sich gezogen hatte. Zum anderen, weil ihm das Streifenduo in Zivil gegenübertritt.
Beides ist Teil der aktuellen Strategie des Ordnungsamtes. Bei den Kontrolleuren in Person von Jörg Hacker und Jens Stahl handelt es sich um sogenannte Waste Watcher. Kiezpatrouillen, die sich um nicht sachgemäß entsorgten Abfall aller Art kümmern. Illegal abgelagerter Müll gehört ebenso dazu wie Kippen, die auf dem Pflaster landen. Mit dem Unterschied, dass Verursacher des letzteren Delikts schneller aufzuspüren sind. Vor allem, wenn die Waste Watcher ohne Uniform unterwegs sind. Seit Jahresbeginn wird das so gehandhabt.
Hohe Fallzahlen am Bahnhof Warschauer Straße
Nicht nur Jörg Hacker und Jens Stahl können deshalb in der Regel eine ziemlich hohe Erfolgsbilanz vorweisen. Während einer Schicht kämen sie häufig auf mehr als 30 registrierte Übertretungen. Abhängig sei das auch davon, in welcher Gegend ihr Einsatz stattfinde. Der Bahnhof Warschauer Straße sorge eigentlich immer für hohe Fallzahlen. Was sich bei dieser Beobachtung bestätigt. Binnen einer knappen Stunde wurden sechs Personen erwischt, die das Straßenland als Aschenbecher ansahen.
Zum Beispiel eine Frau mit Hund, die zunächst die Hinterlassenschaft ihres Vierbeiners vorbildlich entsorgt. Anders als ihren Zigarettenrest. Auch sie zeigt sich bei der Konfrontation mit der Kiezstreife einigermaßen perplex. Dass dieses Vergehen jetzt ebenfalls im Visier ist "wusste ich noch gar nicht". Ein Satz, der so oder in Variationen immer wieder fällt. Ebenso wie: "Ich mache das sonst natürlich nicht." Das beteuert auch eine junge Frau, die in Begleitung ihrer Mutter auf den Bahnhof zusteuert. Vorher noch einen letzten Zug an der Zigarette und dann bleiben die Reste auch hier auf dem Vorplatz zurück. Das wäre natürlich nicht gut gewesen, räumt sie danach ein. Schon wegen der Umwelt. Ja, sie habe schon von den Zivileinsätzen gehört, aber daran gerade wirklich nicht gedacht.
Trotz der Einsicht müssen Mutter und Tochter mit einem Bußgeld von mindestens 50 Euro rechnen. Bei der Hundehalterin wird das Eintüten des Kots als mildernder Umstand zumindest mit aufgenommen.
Touristen kommen noch ohne Bußgeld davon
Die Geldbußen sollen ebenfalls abschreckend wirken. Sofern sie erhoben werden können. Vor allem bei Touristen ist das bisher eher schwierig. Deshalb kommt das Paar aus Spanien mit einer "Belehrung" davon. Ihm die Zahlungsaufforderung nach Hause zu schicken, die erst einmal übersetzt werden müsste, würde einen zu hohen Verwaltungsaufwand bedeuten. Zumal es alles andere als sicher ist, dass der Betrag jemals beglichen wird.
Aber schon wegen des Gleichheitsgrundsatzes darf das nicht so bleiben. In Kürze werden sie mit Kartenlesegeräten ausgestattet, berichten Jörg Hacker und Jens Stahl. Dann könne bei Besuchern aus dem Ausland sofort abkassiert werden.
Weniger Glück hatten wiederum zwei junge Männer. Sie sind, wenn auch immer noch in einigermaßen angemessener Tonlage, die aufmüpfigsten unter allen Kontrollierten in dieser Stunde. Ob es nicht "kriminellere Dinge" gebe, die das Ordnungsamt verfolgen sollte, fand einer von ihnen. Um danach zu lamentieren, er habe immer "Pech" und werde bei irgendwelchen Vergehen erwischt. Einmal hätte ihn eine Kiezstreife beim Fahrrad fahren auf dem Gehweg gestellt. Ein anderes Mal wäre seine schnelle Autofahrt unter Alkoholeinfluss nicht unbemerkt geblieben. Außerdem sei da auch noch "ein bisschen Gras" im Wagen gefunden wurden. Das Bußgeld zahle er noch immer ab. Und jetzt gebe es schon wieder ein neues.
Ohne Uniform ist es entspannter
Nicht nur in diesem Fall sorgte das Auftreten ohne Uniform eher für eine Deeskalation. Auch die Waste Watcher bestätigen das. Bei ihren Einsätzen in Dienstkleidung sei die Atmosphäre häufig aufgeladener gewesen. Mehr Menschen hätten auch mitbekommen, wenn sie eine Anzeige aufnahmen und sich eingemischt. Jetzt laufe alles viel anonymer ab.
Es kommt sogar zu längeren Gesprächen. Immer wieder verweisen die Ertappten darauf, dass es direkt am Bahnhof keine Mülltonnen gibt. Natürlich gehört das zum Verteidigungsarsenal, ist aber trotzdem nicht falsch. Eine ältere Dame nutzt die Gelegenheit, um bei den Waste Watchern ihren Frust über die in ihren Augen immer unhaltbareren Zustände loszuwerden. Sie wurde von der Streife wegen ihres beispielhaften Umgangs mit ihrem Rauchrest angesprochen. Der landete nämlich in einem mitgeführten Mini-Aschenbecher.
Ob ihr Agieren vor allem sehr schnell nachhaltig wirkt, daran haben Jörg Hacker und Jens Stahl einige Zweifel. Letztendlich sei es ein "Tropfen auf den heißen Stein". Ein Umdenken brauche lange. Mit zwei Waste-Watcher-Streifen, die täglich im Einsatz sind, gelinge es natürlich nicht, den gesamten Bezirk auf Müllsünder zu überprüfen. Ihre Arbeit sei "mühsam, aber nicht nutzlos", bringen sie es auf den Punkt. Fortschritte ließen sich ganz gut am Bahnhof Warschauer Straße erkennen, wenn dort eines Tages vielleicht keine oder kaum noch eine Kippe weggeworfen wird.
Autor:Thomas Frey aus Friedrichshain |
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