Ausgestoßen und verfolgt
Ausstellung in den Arcaden und der Bibliothek erinnert an Schicksale von Neuköllner Juden
Am 27. Januar 1945 wurde Auschwitz befreit, die Nazis ermordeten dort mehr als eine Million Menschen. Anlässlich des Jahrestags hat das Museum Neukölln die Ausstellung „Ausgestoßen und verfolgt – Die jüdische Bevölkerung während des Nationalsozialismus in Neukölln“ entwickelt. Sie ist bis Ende April zu sehen.
Von 1933 bis 1945 wird der zeitliche Bogen gespannt – von der alltäglichen Ausgrenzung bis zur Deportation in Vernichtungslager. Parallel zu den persönlichen Erfahrungen sind für jedes Jahr Gesetze und Verordnungen des NS-Staats aufgelistet, die den Juden nach und nach alle Rechte nahmen.
Einige Daten:
1934: Der sechsjährige Hanns-Peter Herz und seine Eltern müssen zur Oma in die Onkel-Herse-Straße ziehen, denn sein Vater hat seine Arbeit verloren. Erst als die Haustür mit einem Davidstern beschmiert und ein Fenster eingeworfen wird, erfährt der Junge, dass sein Papa Jude ist und untertauchen muss. Hanns-Peter wird „Judenbengel“ nachgerufen, andere Kinder machen seine Sachen kaputt und verfolgen ihn. Nur ein einziger Freund steht zu ihm und bewacht ihn auf dem Spielplatz.
1935: Frieda Manasse will ihren Arno heiraten, doch inzwischen haben die Nürnberger Gesetze Ehen zwischen Juden und „Ariern“ verboten. Ein Bluttest, den Frieda im Rathaus Neukölln machen muss, ergibt, dass über 50 Prozent „jüdisches Blut“ in ihren Adern fließen. Zwölf Jahre vergehen, bis das Paar sich im Standesamt trauen lassen kann.
Durch Ideologie zum Waisen gemacht
1938: In der Nacht zum 10. November brennt die Synagoge in der Isarstraße, die der zehnjährige Norbert Biakalas regelmäßig besucht hat. Sein Lehrer kann ihm nicht in die Augen sehen, als er ihm mitteilt, dass er nicht mehr in die Schule kommen darf. Ein halbes Jahr später verabschiedet sich Norbert auf dem Bahnhof von seinen Eltern. Ein Zug bringt sie in ein polnisches Vernichtungslager. Er sieht sie nie wieder. Er selbst überlebt, weil seine Mutter es geschafft hat, ihm einen Platz in einem Kindertransport nach Frankreich zu sichern.
1940: Juden müssen bei Bombenalarm in gesonderte Keller. Doch der Verwalter des Hauses Anzensgruberstraße 27 ist freundlich zur Familie Opprower und lässt sie gewähren. Doch dann beschwert sich eine Nachbarin, es „stinke nach Juden“, der Vater müsse in den Kohlenkeller, die „arische“ Mutter und der Sohn könnten im sichereren Luftschutzraum bleiben. Die Opprowers trennen sich nicht und gehen alle in den Kohlenkeller.
Zwei Jahre versteckt auf dem Speicher
1943: Der 22-jährige Kurt Chraplewski muss in einer Schlosserei für die Rüstungsindustrie arbeiten. Am 27. Februar belauscht er in der S-Bahn zwei SS-Männer. Am nächsten Tag sollen alle Juden aus den Betrieben geholt werden, sagen sie. Kurt macht kehrt und versteckt sich mit seinen Eltern auf dem Speicher ihres Hauses am Koppelweg. Notdürftig versorgt werden sie von Verwandten und Freunden. „Der Boden war nur einen halben Meter hoch, man konnte nur liegen. Hier war es halbdunkel, man konnte nichts tun, nicht einmal schlafen. Wenn wir gewusst hätten, dass das über zwei Jahre dauern wird …“, erinnert er sich später. Vor seinem Verschwinden konnte er noch einige Kollegen warnen. Doch vergeblich. „Sie sind alle am nächsten Morgen zur Arbeit gegangen, dann wurden die Tore zugemacht und sie wurden alle verladen und waren weg.“
Die Ausstellung ist bis zum 23. Februar in den Neukölln Arcaden, Karl-Marx-Straße 66, zu sehen. Danach zieht sie ein paar Stockwerke höher in die Helene-Nathan-Bibliothek. Begleitend ist eine Broschüre für den Schulunterricht erschienen.
Infos dazu unter museumslehrer@museum-neukoelln.de.
Autor:Susanne Schilp aus Neukölln |
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