Ausgestoßen und verfolgt
Ausstellung und zahlreiche Veranstaltungen der Volkshochschule zum Thema Antisemitismus

Treppe zur Frauen-Empore der Synagoge in der Isarstraße 8, aufgenommen nach 1945. | Foto: Museum Neukölln
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  • Treppe zur Frauen-Empore der Synagoge in der Isarstraße 8, aufgenommen nach 1945.
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Die Veranstaltungsreihe „Antisemitismus in Neukölln“ ist an den Start gegangen. Eine Ausstellung wurde vor wenigen Tagen im Kurt-Löwenstein-Haus, Karlsgartenstraße 6, eröffnet. Außerdem bietet die Volkshochschule (VHS) Vorträge, Rundgänge und Workshops zum Thema.

Religiöse und völkische Hassparolen, Bedrohungen und Beleidigungen jüdischer Menschen, Verunstaltung von Erinnerungszeichen und Anschläge auf Nazigegner – das ist auch in Neukölln traurige Wirklichkeit, und nicht erst seit dem bewaffneten Konflikt zwischen der palästinensischen Hamas und Israel.

Täter und Opfer

Deshalb beschäftigt sich die VHS-Reihe mit Tätern und Opfern, geistigen Wurzeln und Praktiken der Judenfeindschaft. Einen Blick zurück wirft die Ausstellung „Ausgestoßen und verfolgt. Die jüdische Bevölkerung während des Nationalsozialismus in Neukölln“ . Im Mittelpunkt stehen Erfahrungen und Schicksalswege von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Der zehnjährige Norbert Bikales im Mai 1939 mit Mutter Berta und Vater Salomon auf dem Hof des Hauses Oderstraße 50. Einen Monat später wurden die Eltern deportiert. | Foto:  Privatbesitz Norbert Bikales
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Beispielhaft ist die Geschichte von Norbert Bikales, der mit Glück die Nazi-Diktatur überlebt. Er besucht mit seiner Familie regelmäßig die Synagoge in der Isarstraße 8. Er geht auch gern zur Schule. Doch dann nimmt die Katastrophe ihren Lauf: Vater und Bruder werden am 28. Oktober 1938 verhaftet. In der Nacht zum 10. November brennt die Neuköllner Synagoge, der Rabbiner wird von den Nazis ins Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt.

Wenige Tage später wird Norbert zum Rektor gerufen. Der teilt ihm verlegen mit, dass er sofort nach Hause gehen müsse und die Schule nicht wieder betreten dürfe. „Weil du jüdisch bist“, antwortet er mit ganz leiser Stimme, als Norbert nach dem Grund fragt.

Platz auf Kindertransport

Rund ein halbes Jahr nach dem Schulverweis kommt es ganz schlimm. „Als der Zug nach Polen anfuhr, rannte ich auf dem Bahnsteig hinterher. Meine Eltern lehnten sich aus dem Fenster und winkten mir zu. Sie sahen so traurig aus! Ich sah sie so zum letzten Mal. Da war ich erst zehn Jahre alt“, berichtet Norbert Bikales im Jahre 2012. Die Mutter hatte es vor ihrer Deportation noch geschafft, ihrem Sohn einen Platz auf einem Kindertransport nach Frankreich zu sichern. Sie und ihr Mann werden im Vernichtungslager Belzec ermordet. Das Schicksal ihres älteren Sohnes ist bis heute nicht bekannt.

Parallel zu den persönlichen Geschichten werden in der Ausstellung staatliche Gesetze und Verordnungen der Nationalsozialisten Jahr für Jahr aufgelistet. So dürfen Juden bald schon nicht mehr als Beamte, Rechtsanwälte, Journalisten oder Bauern arbeiten, keine Universitätsprüfungen ablegen oder als Künstler auftreten. Nach und nach ist jeder Lebensbereich betroffen: Juden müssen ihre Geschäfte und Handwerksbetriebe schließen, Parkbänke, Telefonzellen und Speisewagen sind für sie tabu. Sie können keine Rauchwaren, kein Fleisch, keine Milch, keine Eier mehr kaufen, ihnen ist untersagt, Schreibmaschinen, Haustiere oder Radios zu besitzen. „Arische“ Hausbesitzer dürfen sie aus den Wohnungen werfen und und und. Diese und andere Beispiele zeigen, wie die Repressalien zunehmen und schließlich in Vertreibung und Vernichtung münden.

Vorträge und Workshops

Neben der Ausstellung bietet die VHS weitere Veranstaltungen an. Am Montag, 16. September, wird der Online-Vortrag „Antisemitismus – Eine deutsche Geschichte“ angeboten. Ein Rundgang zu Orten von Verfolgung und Widerstand findet am Freitag, 20. September, statt. Im Oktober folgen der Workshop „Neukölln unterm Hakenkreuz“ und der Vortrag „Abgrenzen – ausgrenzen – vertreiben“. Zwei weitere Vorträge beschließen im November die Reihe, dabei geht es um die Themen „Volk und Heimat“ und „Muslimischer Antisemitismus“.

Alle Veranstaltungen sind kostenlos. Anmeldung und weitere Informationen unter www.berlin.de/vhs-neukoelln/ueber-die-vhs/aktuelles/nachrichten/artikel.1471817.php. Die Ausstellung ist bis Ende November werktags von 9.30 bis 21.30 Uhr, am Wochenende von 10.30 bis 17.30 Uhr zu sehen. Eintritt ist frei.

Treppe zur Frauen-Empore der Synagoge in der Isarstraße 8, aufgenommen nach 1945. | Foto: Museum Neukölln
Der zehnjährige Norbert Bikales im Mai 1939 mit Mutter Berta und Vater Salomon auf dem Hof des Hauses Oderstraße 50. Einen Monat später wurden die Eltern deportiert. | Foto:  Privatbesitz Norbert Bikales
Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

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