Wie Neuköllnerinnen einen Staatsanwalt in die Knie zwangen
Der Bezirk im Ersten Weltkrieg

Städtische Suppenküchen gehörten während des Krieges zum Straßenbild. | Foto: Foto: Ausstellung/Museum Neukölln
4Bilder
  • Städtische Suppenküchen gehörten während des Krieges zum Straßenbild.
  • Foto: Foto: Ausstellung/Museum Neukölln
  • hochgeladen von Susanne Schilp

Ein Drittel aller Männer musste an die Front, und zu Hause brach eine Zeit der Not an: Diese und viele andere Fakten sind in der Ausstellung „Neukölln im Ersten Weltkrieg 1914-1918“ zu erfahren. Interessierte können sie sich noch bis Freitag, 3. August, in der ersten Etage des Einkaufzentrums Neuköllner Tor, Karl-Marx-Straße 231, anschauen.

Auf 16 großen Tafeln beleuchtet das Mobile Museum Neukölln die Situation der Bevölkerung in diesem ersten „totalen“ Krieg der europäischen Geschichte. Es geht um den Militarismus im Kaisertum – aber auch um den starken Antimilitarismus und Widerstand im proletarischen Neukölln.

So gab es hier nur vier Tage vor Ausbruch des Krieges, am 28. Juli 1914, den größten Menschenaufmarsch, den die damals noch eigenständige Stadt je gesehen hatte. Tausende drängelten sich vor den Sälen, in denen sozialistische Redner gegen Kriegshetzer agitierten. Danach zogen die Menschenmassen trotz Verbots in Richtung Rathaus und Polizeipräsidium, wurden aber von bewaffneten Polizisten auseinandergetrieben. Aller Protest nutzte nichts: 45 000 Neuköllner wurden zu Soldaten, 6600 von ihnen starben auf den Schlachtfeldern oder in Lazaretten.

In der Heimat übernahmen Frauen und Jugendliche die Arbeitsplätze der Männer. Sie schufteten in der Tempelhofer Sarotti-Fabrik, die nun statt Schokolade „Kriegsmarmelade“ aus Karotten produzierte, oder in der Kindl-Brauerei, wo wegen der Malzrationierung nur noch Dünnbier gebraut werden konnte. Auch Zwangsverpflichtungen in Rüstungsbetrieben standen auf der Tagesordnung.

Nur Kohlrüben und Graupen 

Weil niemand auf einen langen Krieg vorbereitet war, kam es schnell zur Versorgungskrise. Missernten verschärften die Lage. In Neukölln gab es schon 1915 erste Engpässe und Krawalle. Ein Jahr darauf standen fast nur noch Kohlrüben und Graupen auf dem Speiseplan – die Kartoffeln waren knapp geworden. Die Lebensmittel wurden staatlich rationiert, trotzdem standen Frauen mit ihren Marken oft umsonst stundenlang Schlange, während der Schwarzmarkt und die Schieberei eine Hochkonjunktur feierten.

In genau diesem Zusammenhang geriet Neukölln landesweit in die Schlagzeilen. Denn Ende 1917 kam ein geheimes Papier des Magistrats an die Öffentlichkeit. Dort war zu lesen, dass Neukölln – die ärmste Großstadt Preußens - selbst auf dem Schwarzmarkt zu Wucherpreisen einkaufen musste, um die Bevölkerung zumindest notdürftig zu versorgen. Statt Hilfe folgte prompt eine Strafanzeige vom Kriegsernährungsamt.

Die Angelegenheit fand ihren Höhepunkt, als der Staatsanwalt im April 1918 die Neuköllner Kassenbücher beschlagnahmte. Nun konnten die Beamten nicht einmal mehr das wöchentliche Unterstützungsgeld an Kriegerfrauen auszahlen. Diese stürmten daraufhin das Rathaus und drohten, ihre schreienden und hungernden Kinder dort auszusetzen. Schließlich gab der Staatsanwalt klein bei und die Kassenbücher zurück.

Die Ausstellung ist täglich außer sonntags von 7 Uhr bis in die späten Abendstunden hinein geöffnet. Der Eintritt ist kostenlos.

Autor:

Susanne Schilp aus Neukölln

following

Sie möchten diesem Profil folgen?

Verpassen Sie nicht die neuesten Inhalte von diesem Profil: Melden Sie sich an, um neuen Inhalten von Profilen und Orten in Ihrem persönlichen Feed zu folgen.

29 folgen diesem Profil

Kommentare

online discussion

Sie möchten kommentieren?

Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.

Beitragsempfehlungen

BauenAnzeige
2024 war Richtfest für die Grundschule in der Elsenstraße. | Foto: SenBJF
7 Bilder

Berliner Schulbauoffensive 2016-2024
Erfolgsgeschichte für unsere Stadt

Die Berliner Schulbauoffensive ist nach wie vor eines der zentralen Projekte unserer Stadt. Mit aktuell mehr als 44.000 neu entstandenen Schulplätzen setzt die Offensive ihre Ziele erfolgreich um. So wurden von 2016 bis 2023 bereits 5 Milliarden Euro in moderne Bildung investiert. Auch in den kommenden Jahren wird das derzeit größte Investitionsvorhaben für Schulen fortgesetzt. Die Offensive geht weiter und führt zu einer dauerhaft verbesserten schulischen Umgebung für unsere Schülerinnen und...

  • Charlottenburg
  • 13.12.24
  • 1.842× gelesen
  • 1
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 180.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom baut Netz aus
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Ab Dezember starten die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Borsigwalde, Friedenau, Frohnau, Hakenfelde, Lichtenrade, Lübars, Mariendorf, Neu-Tempelhof, Reinickendorf, Schöneberg, Spandau, Tegel, Waidmannslust, Wilhelmstadt und Wittenau. Damit können weitere rund 180.000 Haushalte und Unternehmen in Berlin einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2030 plant...

  • Borsigwalde
  • 11.12.24
  • 2.503× gelesen
WirtschaftAnzeige
Einstiegstüren machen Baden und Duschen komfortabler. | Foto: AdobeStock

GleichWerk GmbH
Seniorengerechte Bäder und Duschen

Seit März vergangenen Jahres ist die Firma GleichWerk GmbH in Kremmen der richtige Partner an Ihrer Seite, wenn es um den Innenausbau Ihres Hauses oder Ihrer Wohnung geht. Darüber hinaus bietet das Unternehmen auch seine Dienste für Hausverwaltungen an. Geschäftsführender Inhaber des Fachbetriebs ist Dennis Garte, der nach jahrelanger Berufserfahrung den Schritt in die Selbstständigkeit wagte, wobei er über ein großes Netzwerk an Kooperationspartnern sowie angesehenen Handwerksfirmen verfügt....

  • Umland Nord
  • 04.12.24
  • 2.130× gelesen
WirtschaftAnzeige
Für weitere rund 84.000 Haushalte in Berlin baut die Telekom Glasfaserleitungen aus. | Foto: Telekom

Telekom vernetzt
Glasfaser-Internet hier im Bezirk

Aktuell laufen die Arbeiten zum Ausbau des hochmodernen Glasfaser-Netzes in Berlin auf Hochtouren. Neue Arbeiten starten nun auch in Alt-Hohenschönhausen, Fennpfuhl, Friedrichsfelde, Friedrichshain, Karlshorst, Kreuzberg, Lichtenberg und Rummelsburg. Damit können nun rund 84.000 Haushalte und Unternehmen einen direkten Glasfaser-Anschluss bis in die Wohn- oder Geschäftsräume erhalten. Die Verlegung der Anschlüsse wird im Auftrag der Telekom durchgeführt. Bis 2023 plant die Telekom insgesamt...

  • Alt-Hohenschönhausen
  • 11.12.24
  • 2.494× gelesen
KulturAnzeige
Blick in die Ausstellung über den Palast der Republik. | Foto: David von Becker
2 Bilder

Geschichte zum Anfassen
Die Ausstellung "Hin und weg" im Humboldt Forum

Im Humboldt Forum wird seit Mai die Sonderausstellung „Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart“ gezeigt. Auf rund 1.300 Quadratmetern erwacht die Geschichte des berühmten Palastes der Republik zum Leben – von seiner Errichtung in den 1970er-Jahren bis zu seinem Abriss 2008. Objekte aus dem Palast, wie Fragmente der Skulptur „Gläserne Blume“, das Gemälde „Die Rote Fahne“ von Willi Sitte, Zeichnungen und Fotos erzählen von der damaligen Zeit. Zahlreiche Audio- und Videointerviews geben...

  • Mitte
  • 08.11.24
  • 3.392× gelesen
add_content

Sie möchten selbst beitragen?

Melden Sie sich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.